Rz. 1
§ 89a AO schließt eine Lücke zwischen dem völkerrechtlich nach Art. 25 OECD-Musterabkommen vorgesehenen Schiedsverfahren zweier steuerberechtigter Länder und dem nationalen Verfahrensrecht, das von seinem Grundgedanken her auf die alleinige Entscheidungsbefugnis der zuständigen Finanzbehörde ausgelegt ist. Die Regelung wurde durch das Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer eingefügt und ersetzt in Teilen die Regelung des bisherigen § 178a AO, der in den Absätzen 7 und 8 aufgenommen wurde. Sie schafft erstmals eine Rechtsgrundlage für Vorabverständigungsverfahren, die bislang unter Berufung auf Art. 25 OECD-Musterabkommen und des dazu ergangenen Merkblatts eingeleitet wurden. Die neue Bestimmung ist nunmehr die alleinige Rechtsgrundlage für die Vorabverständigungsverfahren; sie gilt dabei ausdrücklich nicht nur für eine Verständigung über Verrechnungspreise, sondern auch für sämtliche grenzüberschreitenden Sachverhalte. Voraussetzung für die Durchführung eines Vorabverständigungsverfahrens ist neben einem Antrag des Stpfl. stets die tatsächliche und rechtliche Bereitschaft des anderen Staates, an der Vorabverständigung mitzuwirken. § 89a AO soll für das Unternehmen einen rechtssicheren Rahmen schaffen, in dem Meinungsverschiedenheiten zwischen zwei oder mehreren Staaten über den Steuerzugriff auf einen grenzüberschreitenden Sachverhalt geklärt werden. Ziel bleibt es, ein Einvernehmen zwischen den nämlichen Staaten bezüglich der Besteuerung des Steuersubstrates zu erzielen, um so eine drohende Doppelbesteuerung und eine überhöhte wirtschaftliche Belastung zu vermeiden. Hierbei war das Verhältnis zwischen dem Ergebnis des Verständigungsverfahrens und dem nationalen Besteuerungsverfahren in verfahrensrechtlicher Hinsicht ungeklärt. Insbesondere in Bezug auf das im Verständigungswege gefundene Ergebnis war das nationale Verfahrensrecht z. B. bei einer widerstreitenden verbindlichen Auskunft oder einem parallel eingeleiteten Einspruchsverfahren unzureichend harmonisiert. Die materielle Bestandskraft stand der Umsetzung eines Verständigungsergebnisses aufgrund des § 175a AO zwar bislang nicht entgegen. Mit der Einfügung einer eigenständigen, vollständigen Einbettung des Vorabverständigungsverfahrens in das nationale Steuerrecht bringt der Gesetzgeber aber den Willen zum Ausdruck, Vorabverständigungsverfahren einzuleiten und sich an das Ergebnis binden zu lassen.
Die Regelung gilt dabei ausdrücklich nicht nur für eine Verständigung über Verrechnungspreise (sog. Advanced Pricing Agreement – APAs), sondern sämtliche grenzüberschreitenden Sachverhalte, sofern zwischen den Staaten ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht, welches eine Regelung enthält, das dem Art. 25 OECD-MA nachgebildet ist.
Derzeit noch ungeklärt ist das Verhältnis zum Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft nach § 89 AO. In Betracht kommt, das Vorabverständigungsverfahren in seinem Anwendungsbereich als das gegenüber § 89 AO speziellere Verfahren anzusehen und daher entsprechend als lex specialis vorrangig zur Anwendung zu bringen. Dies bedeutete, einen Antrag nach § 89 AO, soweit er grenzüberschreitende Sachverhalte betrifft, nur dann zuzulassen, wenn ein Verfahren nach § 89a AO gescheitert ist. Diesbezügliche Anträge wären bis zum Abschluss des Verfahrens nach § 89a AO also zurückzustellen, bzw. gar abzulehnen. Dieser Ansicht ist zuzugeben, dass die Rechte des Antragstellers besser geschützt werden, wenn dieser nicht lediglich eine – wenn auch verbindliche – rechtliche Einschätzung der inländischen Finanzbehörde erhält. Im wohlverstandenen Interesse muss es liegen, eine von allen betroffenen Staaten geteilte einheitliche Einschätzung zum grenzüberschreitenden Sachverhalt zu erhalten. Allerdings enthält Abs. 5 eine Kollisionsregelung für den Fall eines Nebeneinanders zwischen verbindlichen Auskünften und Vorabverständigungen, sodass rechtssystematisch jedenfalls ein Nebeneinander als möglich, wenn nicht sogar als gewünscht angesehen wurde. Für die Annahme, dass § 89 AO im Anwendungsbereich des § 89a AO bereits auf der Statthaftigkeitsebene verdrängt wird, gibt es demgemäß keine Anhaltspunkte. Ob diese Frage indes mit Blick auf die doppelte Kostenfolge bei gleichzeitiger Beantragung einer verbindlichen Auskunft und eines Vorabverständigungsverfahrens jemals praxisrelevant wird, darf wohl bezweifelt werden.