Rz. 21
Als Haupterrungenschaft der Einfügung der nationalen Regelung für die Einleitung eines Vorabverständigungsverfahrens ist die Auflösung ggf. inhaltlich widersprechenden behördlichen Äußerungen in anderen Verfahren. In Absatz 5 werden der örtlich zuständigen Finanzbehörde zwei unterschiedliche Verfahrensrechte an die Hand gegeben, um im Falle eines Widerspruchs Klarheit bezüglich der für das Besteuerungsverfahren maßgeblichen Äußerung zu schaffen. Als Kollisionsfall in Betracht kommen die verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO, die verbindliche Zusage nach § 204 AO und die Anrufungsauskunft nach § 42e EStG. Für eine entsprechende Anwendung auf tatsächliche Verständigungen wird i. d. R. kein Raum sein, da- anders als die Vorabverständigungsvereinbarung - Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung regelmäßig in der Vergangenheit abgeschlossene Sachverhalte sein werden. Eine Überschneidung mit Regelungsgegenständen einer Vorabverständigungsvereinbarung, die die Zukunft betreffen, ist daher ausgeschlossen.
6.1 Widerruf erteilter Auskünfte (Abs. 5 Satz 1)
Rz. 22
Ist der Kollisionsfall bereits eingetreten und die widerstreitende Aussage der Finanzbehörde bereits in der Welt, kommt ein Widerruf dieser Aussage nach § 131 Abs. 4 AO in Betracht. Bereits im Rahmen der Antragstellung sind nach § 89a Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AO Angaben zu ggf. einschlägigen Auskünfte nach § 89 Abs. 2 AO und Zusagen nach § 204 AO und § 42e EStG zu machen. Hierdurch soll bereits im Vorwege die Entstehung eines Kollisionsfalls vermieden werden. Der Widerruf ist im Einvernehmen mit dem BZSt zu erteilen. Rechtssystematisch enthält Abs. 5 Satz 1 einen gesetzlich geregelten Widerrufsvorbehalt i. S. d. § 131 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt AO dar. Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Kollision bereits bei Abschluss der Vorabverständigungsvereinbarung oder erst zu einem späteren Zeitpunkt entstanden ist.
Nicht erforderlich ist, dass die verbindliche Auskunft, die verbindliche Zusage nach § 204 AO oder die Anrufungsauskunft nach § 42e EStG rechtmäßig waren. Da Abs. 5 Satz 1 insoweit als Rechtsfolgenverweis zu verstehen ist, kommt es auf die Erfüllung des Tatbestands des § 131 AO im Übrigen nicht an.
Allerdings kann der Widerruf nur für die Zukunft erfolgen, sodass die Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft, der verbindlichen Zusage nach § 204 AO oder der Anrufungsauskunft nach § 42e EStG bis zu diesem Zeitpunkt erhalten bleibt. Da der Widerruf in das Ermessen der örtlich zuständigen Finanzbehörde gestellt wurde, kann diese auch über den Umfang des Widerrufs entscheiden. Es erscheint hierbei in der Regel ermessensgerecht, wenn der Widerruf auf den Teil der Auskunft bzw. der Zusage beschränkt bleibt, der der Vorabverständigungsvereinbarung widerspricht.
6.2 Abkehr von der Vorabverständigung (Abs. 5 Satz 2)
Rz. 23
Sind die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Abs. 5 Satz 1 nicht erfüllt, kommt nachrangig die Aufhebung der Bindungswirkung der Vorabverständigungsvereinbarung als ungleich weitreichenderer, weil auch den ausländischen Staat betreffende Maßnahme in Betracht. Dieser Fall kann eintreten, wenn das BZSt Kenntnis davon erlangt, dass eine bereits erteilte verbindliche Auskunft oder verbindliche Zusage nicht nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 vom Antragsteller angegeben worden ist und sich hierdurch ein Kollisionsfall ergeben hat. Zuständig für die Abkehrerklärung ist die örtlich zuständige Finanzbehörde, die vorab Einvernehmen mit dem BZSt zu erzielen hat. Die Abkehrerklärung stellt als belastende Entscheidung einen rechtsbehelfsfähigen Verwaltungsakt dar, da dieser die Wirkung des zuvor mit dem Antragssteller abgeschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrags beseitigt. Da die Abkehrentscheidung im Ermessen der örtlich zuständigen Finanzbehörde steht, ist bei der Ausübung des Ermessens zugunsten des Antragstellers ggf. zu berücksichtigen, dass im Zeitpunkt der Antragsteller die mögliche Kollision nicht erkennbar war oder die örtlich zuständige Finanzbehörde Veranlassung gehabt hätte, dem BZSt die erteilte Auskunft oder Zusage vor Abschluss der Vorabverständigungsvereinbarung anzuzeigen. Da Abs. 5 allein als Kollisionsnorm zwischen verbindlichen Auskünften, verbindlichen Zusagen und Anrufungsauskünften dient, führen lediglich nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 unzutreffende Auskünfte im Antrag bzw. im Antragsverfahren zu einer Abkehr von der Bindungswirkung der Vorabverständigung.
Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Entscheidung, ob die verbindliche Auskunft nach Abs. 5 Satz 1 widerrufen wird oder die Bindungswirkung nach Abs. 5 Satz 2 nach Zweckmäßigkeitserwägungen getroffen wird. Einzustellen in diese Entscheidung ist hierbei stets, dass der Abschluss einer Vorabverständigungsvereinbarung deutlich mehr Verwaltungsaufwand bindet und unter Umständen Weiterungen im Außenverhältnis mit dem anderen Staat die Folge sind. Nach diesen Maßstäben kann eine Abkehr von der Bind...