Rz. 5
Als gesetzlich nicht geregelter Sonderfall der sachlichen Zuständigkeit wird vielfach die verbandsmäßige Zuständigkeit genannt. Diese soll die Verwaltungshoheit der Behörden auf das Gebiet des steuerberechtigten "Verbandes" begrenzen, dem die jeweilige Behörde angehört. Aus dem bundesstaatlichen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland ziehen die Verfechter der verbandsmäßigen Zuständigkeit den Schluss, dass die örtliche Zuständigkeit jeder Behörde an der Landesgrenze endet. Nichtsdestoweniger werden die sich aus der verbandsmäßigen Zuständigkeit ergebenden Grenzen der Verwaltungshoheit nicht nur auf das Verhältnis der Länder, sondern auch auf das der Gemeinden bzw. allgemein der steuerberechtigten Gebietskörperschaften zueinander bezogen, ohne dass im Fall des Bundes allerdings klar würde, an welcher Landesgrenze dessen Verwaltungshoheit enden sollte. Die sich aus dieser begrifflichen Unklarheit ergebenden Unsicherheiten sind umso misslicher, als außerhalb der Verbandszuständigkeit erlassene Verwaltungsakte nichtig sein sollen.
Rz. 6
Die Verfechter der verbandsmäßigen Zuständigkeit stützen sich auf drei noch zur Rechtslage vor Inkrafttreten der AO ergangene Entscheidungen des II. Senats des BFH, die diesen Begriff selbst aber nicht verwenden und sich auch nicht zu den rechtlichen Konsequenzen eines Verstoßes gegen die Verbandszuständigkeit äußern.
In dem zur Gesellschaftsteuer nach dem Kapitalverkehrsteuergesetz ergangenen BFH-Urteil v. 12.12.1967 vertrat dieser zwar die Auffassung, dass die gegenständlich durch das GG umschriebene Ertragshoheit der Länder und die Verwaltungshoheit der Landesfinanzbehörden in räumlicher Hinsicht durch die Gebietshoheit der Länder begrenzt werde und ein Land in seiner Verwaltungshoheit grundsätzlich auf sein eigenes Gebiet beschränkt sei. Diese These diente allerdings nicht zur Feststellung eines Verstoßes gegen die Verbandszuständigkeit, sondern allein zur Begründung dafür, dass die Hamburger Finanzbehörde, in deren Bezirk der steuerbegründende Tatbestand verwirklicht worden war, auch nach dem Wegzug der Klägerin in ein anderes Bundesland zur Steuerfestsetzung berechtigt geblieben war. In dem BFH-Urteil v. 26.5.1970, in dem es ebenfalls um die Gesellschaftsteuer geht, werden die in dem Urteil v. 12.12.1967 ausgesprochenen Grundsätze wiederholt, ohne jedoch irgendwie entscheidungserheblich gewesen zu sein. Schließlich hatte auch das BFH-Urteil v. 12.7.1978 keinen von einer verbandsfremden Finanzbehörde erlassenen Verwaltungsakt, sondern die Frage zum Gegenstand, ob die von einer Großbetriebsprüfungsstelle des Landes Nordrhein-Westfalen durchgeführte Betriebsprüfung den Ablauf der Festsetzungsfrist hinsichtlich eines dem Land Niedersachsen zustehenden und von einem niedersächsischen FA festgesetzten Grunderwerbsteueranspruchs hemmen konnte. Dies wurde vom BFH mit der Begründung verneint, dass sich die Betriebsprüfung in keinem Fall auf solche Sachverhalte habe erstrecken können, für die dem Land Nordrhein-Westfalen die Finanzhoheit gefehlt habe.
Rz. 7
Für die ESt hat der IV. Senat des BFH die aus der Rechtsfigur der verbandsmäßigen Zuständigkeit gezogenen Schlussfolgerungen hingegen schon früh verworfen. In seinem Urteil v. 29.10.1970 vertrat er mit eingehender Begründung die Ansicht, dass die Lehre, nach der bei einem Wohnsitzwechsel über die Ländergrenzen das örtlich zuständig werdende FA für die Veranlagungen früherer Veranlagungszeiträume verbandsmäßig unzuständig sei, nicht dem Gesetz entspreche, weil der Steuergegenstand "Einkommen" nicht gebietsgebunden sei. Der VIII. Senat des BFH hat sich dieser Auffassung in seinem Urteil v. 23.11.1972 unter Hinweis darauf angeschlossen, dass die Verwaltungshoheit über die ESt den Ländern gemeinschaftlich zustehe und die vom BVerfG anerkannte Eigenstaatlichkeit der Länder insoweit eingeschränkt sei.
Schließlich hat der VII. Senat in seinem Urteil v. 5.3.1985 die These der verbandsmäßigen Zuständigkeit auch für die Kraftfahrzeugsteuer verworfen, obwohl diese nach der bis zum 30.6.2009 geltenden Fassung des Art. 106 GG ausschließlich den Ländern zustand und der kraftfahrzeugsteuerrechtliche Tatbestand des Haltens von einheimischen Fahrzeugen an ein örtliches Merkmal – die bei der für den regelmäßigen Standort zuständigen Zulassungsstelle zu beantragende Zulassung – anknüpft.
Rz. 8
Auch von den Verfechtern der verbandsmäßigen Zuständigkeit wird deren Geltung nunmehr auf die GewSt, die GrSt und die örtlichen Verbrauchsteuern sowie z. T. die Grunderwerbsteuer als – wegen der örtlichen Radizierung des Steuertatbestands – "gebietsgebundene Steuern" beschränkt. Als Beleg für die i. d. S. begrenzte Geltung des Grundsatzes der Verbandszuständigkeit wird das Urteil des BFH v. 14.11.1984 angeführt, in dem der I. Senat des BFH die Auffassung vertreten hatte, dass ein von einem örtlich unzuständigen FA erlassener Gewerbesteuermessbescheid nicht nach § 127 AO aufrechterhalten werden könne...