Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 73
Die Prüfungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung enden grundsätzlich an der Grenze. Da die Überprüfung von Steuersachverhalten Ausübung von Hoheitsgewalt ist, sind der Finanzverwaltung Überprüfungsmöglichkeiten nur auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik eingeräumt. Hoheitsakte auf dem Staatsgebiet anderer Staaten sind ihr generell verboten. Da für die Überprüfung grenzüberschreitender Sachverhalte eine Überprüfung nur auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik selten ausreicht, sind gesetzliche Instrumente vorgesehen, die der Finanzverwaltung die Prüfung ermöglichen sollen. Zu nennen sind etwa § 146 Abs. 2 AO, wonach die Buchführung im Inland aufzubewahren ist, § 90 Abs. 2 AO, wonach bei grenzüberschreitenden Beziehungen den Stpfl. die Aufklärungspflicht trifft, und § 90 Abs. 3 AO über die Dokumentation der Verrechnungspreise.
Innerhalb des Bereichs der EU stößt ein Teil dieser Vorschriften auf Bedenken, da sie eine den Stpfl. belastende Sonderregelung für grenzüberschreitende Beziehungen darstellen. Der darin liegende Verstoß gegen die Grundfreiheiten des EU-Vertrags beruht zwar auf einem schutzwürdigen Interesse der Bundesrepublik, nämlich der Sicherstellung einer den Gesetzen entsprechenden Besteuerung, doch scheitert die Rechtfertigung dieser Diskriminierung nach der Rspr. des EuGH regelmäßig daran, dass diese Maßnahme nicht notwendig ist. Der EuGH sieht nämlich in st. Rspr. die Möglichkeiten der EG-Amtshilferichtlinie (umgesetzt im EUAmtshilfeG) als ausreichende Möglichkeit zur Sicherstellung der dem Gesetz entsprechenden Besteuerung an.
Rz. 74
In der Praxis erweist sich aber der Auskunftsverkehr nach dem EUAmtshilfeG sowie den Auskunftsklauseln der DBA als ungeeignet für eine umfassende Kontrolle. Abgesehen von dem umständlichen und langwierigen Verfahren einer internationalen Steuerauskunft ist dieses Verfahren nur für Einzelauskünfte über konkret definierte Sachverhalte geeignet, nicht dagegen für eine einer Außenprüfung entsprechenden umfassenden Kontrolle. Zum Auskunftsverkehr vgl. § 117 AO Rz. 1ff.
Um die insoweit bestehenden Defizite auszugleichen, hat die Finanzverwaltung Vereinbarungen mit ausländischen Staaten über koordinierte Außenprüfungen (Simultanprüfungen) abgeschlossen. Nach diesen Abkommen können Außenprüfungen zweier Staaten bei dem gleichen Stpfl. oder bei Stpfl., die dem gleichen Konzern angehören, zeitgleich und nach abgestimmten Methoden bzw. Prüfungsfeldern durchgeführt und die Ergebnisse ausgetauscht werden. Eine besondere Rechtsgrundlage ist für Simultanprüfungen nicht erforderlich, da bei ihnen jeder Prüfer nur auf seinem eigenen Staatsgebiet und im Rahmen der für ihn geltenden Rechtsgrundlagen handelt. Für den im Rahmen der Simultanprüfungen erfolgenden Auskunftsverkehr enthalten das EUAmtshGesetz, die Auskunftsklauseln der DBA und letztlich § 117 AO umfassende Rechtsgrundlagen.
Rz. 75
Da die Prüfungsmöglichkeiten der Finanzbehörde nicht an die Entwicklung einer globalen Wirtschaft angepasst sind, in der die Besteuerungsgrundlagen mehr und mehr auf grenzüberschreitenden oder ausländischen Geschäftsvorfällen beruhen, sind weitergehende Rechtsgrundlagen geschaffen worden. Innerhalb der EU gilt die EU-Amtshilferichtlinie, die in der Bundesrepublik im EUAHiG v. 26.6.2013 umgesetzt worden ist. Darin sind Rechtsgrundlagen für zwei Formen der multilateralen Betriebsprüfung enthalten, nämlich die Anwesenheit von Bediensteten anderer EU-Mitgliedsstaaten bei der Prüfung bzw. deutscher Bediensteter bei Prüfungen in anderen Mitgliedsstaaten, §§ 10, 11 EUAHiG, und gleichzeitige Prüfungen, § 12 EUAHiG.
Rz. 76
Den intensivsten Eingriff in die Sphäre des Stpfl. bildet die Anwesenheit ausländischer Bediensteter bei der Außenprüfung. § 10 EUAHiG regelt das für die Teilnahme ausländischer Bediensteter an Prüfungen im Inland, § 11 EUAHiG durch Verweisung auf § 10 EUAHiG für die Teilnahme inländischer Bediensteter an ausländischen Prüfungen. Ausländische Bediensteten dürfen nach § 10 Abs. 1 EUAHiG in den Amtsräumen der Finanzbehörde und in den Betriebsräumen des Stpfl., in denen die Prüfungshandlungen vorgenommen werden, zugegen sein. Die Tätigkeit der ausländischen Bediensteten kann aber über ein bloßes Anwesenheitsrecht hinausgehen. Nach § 10 Abs. 3 EUAHiG kann auch zugelassen werden, dass die ausländischen Bediensteten im Beisein deutscher Finanzbeamter Personen befragen und Aufzeichnungen prüfen. Damit haben die ausländischen Bediensteten im Wesentlichen die gleichen Möglichkeiten, Prüfungshandlungen durchzuführen, wie inländische Bedienstete. Voraussetzung ist zwar, dass der Stpfl. der Befragung und der Prüfung zustimmt. Allerdings wirkt eine Verweigerung der Zustimmung wie eine Verweigerung der Mitwirkung gegenüber inländischen Bediensteten, kann also zu Zwangsmitteln nach §§ 328ff. AO und zur Schätzung nach § 162 AO führen. Das Zustimmungsverweigerungsrecht ist daher praktisch wertlos.
Rz. 77
§ 12 EU-AmtshilfeG ermöglicht gleichzeitige Prüfungen in einem oder mehreren Mitglied...