2.1 Ermessensentscheidung der Behörde
2.1.1 Allgemeines
Rz. 5
Das Wesen einer Ermessensentscheidung besteht darin, dass der Gesetzgeber bei Vorliegen des von ihm aufgestellten Tatbestands verschiedene Rechtsfolgen bestimmt. Es steht im Ermessen des Rechtsanwenders, welche von mehreren möglichen Rechtsfolgen er eintreten lassen will, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, wobei er eine wertende Entscheidung im Rahmen des durch das Gesetz vorgegebenen Zwecks der Ermächtigung zu treffen hat. Ermessen gibt es nur auf der Rechtsfolgeseite einer Norm. Der unter den Tatbestand der Rechtsnorm zu subsumierende Sachverhalt ergibt sich allein aus der konkreten Lebenswirklichkeit. Enthält der Tatbestand einer Norm einen unbestimmten Rechtsbegriff, ist dieser an der Lebenswirklichkeit zu messen. Die behördliche Entscheidung unterliegt insoweit jedenfalls im Steuerrecht der vollen gerichtlichen Überprüfung. Ein Ermessen besteht hier nicht.
Rz. 6
Nur ausnahmsweise, bei Vorliegen besonderer Umstände, kann der Ermessensspielraum, zwischen verschiedenen Rechtsfolgen nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu wählen, derart reduziert sein, dass nur eine einzige Ermessensentscheidung, also nur die Anordnung einer bestimmten Rechtsfolge, rechtmäßig ist. Man spricht dann von einer Ermessensreduzierung auf Null. Das ist z. B. denkbar, wenn die Verwaltung eine Selbstbindung dahin eingegangen ist, bei Vorliegen eines bestimmten Tatbestands immer die gleiche Rechtsfolge anzuordnen, oder wenn unter bestimmten Konstellationen nur eine Rechtsfolge denkbar ist, bei deren Anordnung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wäre.
2.1.2 Entschließungs-, Auswahl-, Rechtsfolgeermessen
Rz. 7
Es werden verschiedene Arten von gesetzlichen Ermächtigungen zu Ermessensentscheidungen bezüglich der Rechtsfolgen unterschieden. Hat der Gesetzgeber dem Gesetzesanwender freigestellt, ob er bei Vorliegen des gesetzlichen Tatbestands überhaupt tätig werden will, spricht man von Entschließungsermessen. Kann der Gesetzesanwender auswählen, welche von mehreren infrage kommenden Personen er bei Vorliegen des gesetzlichen Tatbestands mit der vorgesehenen Rechtsfolge überziehen will, spricht man von Auswahlermessen. Schließlich ist dem Gesetzesanwender ein Rechtsfolgeermessen i. e. S. eingeräumt, wenn er wählen kann, welche von verschiedenen im Gesetz vorgesehenen Rechtsfolgen er bei Vorliegen des gesetzlichen Tatbestands eintreten lassen will. Häufig sind in einer Norm diese verschiedenen Ermessensarten miteinander kombiniert, sodass der Gesetzesanwender mehrere abgestufte Ermessensentscheidungen zu treffen hat, um die Ermächtigungsnorm auszufüllen.
2.1.3 Beurteilungsspielraum
Rz. 8
Hat der Gesetzgeber dem Rechtsanwender kein Ermessen, sondern einen Beurteilungsspielraum eingeräumt, hat er die Entscheidung darüber, welche konkrete Rechtsfolge bei Vorliegen eines bestimmten Tatbestands eintreten soll, ebenfalls in die Hand des Gesetzesanwenders gelegt. In diesen Fällen gelten ähnliche Regeln wie bei Ermessensentscheidungen. Neben der Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen für die zu beurteilende Entscheidung. kann das Gericht wegen des Gewaltenteilungsgrundsatzes nicht eine eigene Beurteilung an die Stelle der Beurteilung des zur Beurteilung ermächtigten Gesetzesanwenders setzen, sondern nur überprüfen, ob der Beurteilende die Grenzen des gesetzlich eingeräumten Beurteilungsspielraums eingehalten hat. Dies gilt insbesondere bei der gerichtlichen Überprüfung von Prüfungsentscheidungen in der Steuerberaterprüfung.
2.1.4 Ermächtigung der Behörde
Rz. 9
Die Vorschrift des § 102 FGO regelt den Prüfungsumfang des Gerichts, soweit die Finanzbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln oder zu entscheiden. Solche Ermächtigungen finden sich z. B. in §§ 130, 131, 152, 163, 191, 193, 196, 222, 227, 328 Abs. 1 AO. Die Vorschrift findet unmittelbar Anwendung nur in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten betreffend Maßnahmen von Finanzbehörden i. S. v. § 33 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FGO. Da die Regelung der (beschränkten) Überprüfung von Ermessensentscheidungen durch das Gericht in § 102 FGO jedoch ein aus dem Gewaltenteilungsprinzip abgeleiteter allgemeiner Grundsatz des Verwaltungsprozessrechts ist, findet sie in allen Angelegenheiten, in denen der Finanzrechtsweg gem. § 33 FGO eröffnet ist, entsprechende Anwendung, also auch dann, ...