2.2.1 Allgemeines
Rz. 10
Die gerichtliche Überprüfung von behördlichen Ermessensentscheidungen erfolgt in zwei Schritten: Zunächst ist in vollem Umfang zu prüfen, ob die Behörde dazu ermächtigt war, eine Ermessensentscheidung zu treffen, ob also die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Ermessensentscheidung erfüllt waren. In einem zweiten Schritt ist dann, wenn die erste Prüfung zu einem positiven Ergebnis geführt hat, die eigentliche Ermessensentscheidung auf Ermessensfehler hin zu untersuchen.
2.2.2 Maßgebender Zeitpunkt
Rz. 11
Für die gerichtliche Kontrolle von Ermessensentscheidungen ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zugrunde zu legen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist daher regelmäßig der Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung.
Nach Auffassung des BFH soll jedoch dann, wenn nach Erlass der Einspruchsentscheidung ein geänderter Bescheid erlassen wurde, der gem. § 68 S. 1 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, für die gerichtliche Kontrolle auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses dieses geänderten Bescheids abzustellen sein. Ist dann der geänderte Bescheid aufzuheben, ist zu prüfen, ob ein wiederauflebender Bescheid rechtmäßig ist, wobei wiederum auf die Sach- und Rechtslage der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen ist.
Rz. 12
Besteht allerdings eine Ermessensreduzierung auf Null, kommt es auf die im Zeitpunkt der Entscheidung in der Tatsacheninstanz bestehende Sach- und Rechtslage an. Eine solche Verpflichtung zum Erlass einer Ermessensentscheidung kann nur ausgesprochen werden, wenn zu dem Zeitpunkt, in dem die gerichtliche Entscheidung ergeht, ein Anspruch auf die erstrebte Verpflichtung des FA besteht.
2.2.3 Überprüfung der Tatbestandsvoraussetzungen
Rz. 13
Eine Ermessensentscheidung setzt zunächst voraus, dass der Gesetzgeber mit einer Eingriffs- oder Verpflichtungsnorm die Behörde zu einer solchen Entscheidung ermächtigt hat. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vor, und trifft die Behörde gleichwohl eine Ermessensentscheidung, spricht man von Ermessensanmaßung. In diesem Fall handelt es sich nicht um einen Ermessensfehler im eigentlichen Sinn, sondern um schlichte Rechtswidrigkeit wegen fehlender gesetzlicher Voraussetzungen für das Tätigwerden der Behörde. Eine Ermessensentscheidung der Behörde auf der Tatbestandsseite einer Norm widerspräche dem Grundsatz der Gesetzesbindung der Verwaltung. Der Verwaltungsakt wird durch das Gericht aufgehoben.
Rz. 14
Eine Besonderheit ergibt sich nach Auffassung der Rspr. insbesondere bei der Prüfung von Erlassentscheidungen. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder z. T. erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des Falls unbillig wäre. Hier unterliegt nicht nur die Ermessensentscheidung der Behörde auf der Rechtsfolgeseite, nämlich die Frage, ob sie überhaupt, und wenn, ob sie ganz oder z. T. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlässt, der gerichtlichen Überprüfung auf Ermessensfehler. Auch die Feststellung des Tatbestands der Norm, ob die Einziehung nach Lage des Falls unbillig wäre, kann das Gericht nicht uneingeschränkt überprüfen. Denn die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs "unbillig" erfordert eine Wertung, die sachgerecht allein vom Gesetzesanwender, hier also der Behörde, vorgenommen werden kann, sodass die gerichtliche Überprüfung auch insoweit auf Ermessensfehler beschränkt ist. Anders sieht der BFH dies beispielsweise für den Begriff der "Sachdienlichkeit" von Teileinspruchsentscheidungen gem. § 367 Abs. 2a AO, der gerichtlich voll überprüfbar ist.
2.2.4 Ermessensfehler
Rz. 15
Liegen die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen für eine Ermessensentscheidung der Behörde vor, hat das Gericht die konkret getroffene Entscheidung gem. § 102 FGO auch auf Ermessensfehler hin zu kontrollieren. Ermessensfehler können bei Überschreitung der Ermessensgrenzen (Ermessensüberschreitung) und Zweckverfehlung (Ermessensfehlgebrauch) vorliegen. Bei im Einzelnen fließenden Übergängen wird Ermessensüberschreitung angenommen, wenn das Ergebnis der Ermessensentscheidung nicht mit der Rechtsordnung vereinbar ist, während Ermessensfehlgebrauch vorliegt, wenn die Behörde auf rechtlich unzulässige Art und Weise zu ihrer Entscheidung gekommen ist. Innerhalb dieser beiden Gruppen von Ermessensfehlern werden entsprechend der Lehre vom allgemeinen Verwaltungsrecht weitere Untergruppen unterschieden. Soweit untersc...