Rz. 16
Die gesetzlichen Grenzen der Ermessensausübung ergeben sich nicht nur aus der zu einer Ermessensentscheidung ermächtigenden Norm, sondern ebenso aus der Verfassung und den allgemeinen dem Verwaltungshandeln zugrunde liegenden Rechtsregeln. Bei der Entscheidung der Behörde, welche der angeordneten Rechtsfolgen die zweckmäßigste ist, müssen insbesondere der Gleichheitssatz und der Grundsatz von Treu und Glauben, das Übermaßverbot sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden.
2.2.4.1.1 Ermessensüberschreitung
Rz. 17
Fehlerhafte Ermessensausübung wegen Ermessensüberschreitung ist gegeben, wenn die Behörde glaubt, ihr sei bei dem vorliegenden Sachverhalt die gesetzliche Ermächtigung erteilt, im Weg einer Ermessensentscheidung in die Rechte des Bürgers einzugreifen – Ermessensanmaßung. Ebenso verhält es sich, wenn die Behörde irrtümlich meint, die von ihr ausgewählte und angeordnete Rechtsfolge sei im Gesetz vorgesehen. Der von der Behörde getroffenen Ermessensentscheidung fehlt die gesetzliche Grundlage. Die angeordnete Rechtsfolge ist rechtswidrig, weil sie nicht vom Gesetz gedeckt ist.
Rz. 18
Ermessensüberschreitung liegt im Übrigen vor, wenn zwar die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung vorliegen und die Behörde auch eine vom Gesetz vorgesehene Rechtsfolge angeordnet hat, die Behörde in ihre Ermessensabwägung aber vom Gesetz nicht vorgesehene weitere Rechtsfolgen einbezieht. Hier sind lediglich die Ermessenserwägungen fehlerhaft, weil bei der Abwägung, welche mögliche Rechtsfolge eintreten soll, falsche Vorstellungen über die vom Gesetz zur Verfügung gestellten Möglichkeiten herrschten. Dies führt zur Aufhebung durch das Gericht wegen Ermessensüberschreitung, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Behörde eine andere Entscheidung getroffen hätte, wenn sie sich der Begrenztheit ihrer Möglichkeiten bewusst gewesen wäre.
2.2.4.1.2 Entscheidungskompetenz
Rz. 19
Das Wesen der Ermessensentscheidung besteht u. a. darin, dass grundsätzlich bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen verschiedene Rechtsfolgen angeordnet werden können. Daher kommt der Frage, wer für die Entscheidung zuständig ist, eine besondere Bedeutung zu. Der Bürger hat einen Anspruch darauf, dass gerade die Behörde, der der Gesetzgeber ein Entscheidungsermessen eingeräumt hat, seinen Fall entscheidet. Welche Behörde die Entscheidungskompetenz hat, ergibt sich regelmäßig aus der das Ermessen einräumenden Norm. Hat eine andere Behörde entschieden, liegt ein Ermessensfehler vor, sodass der Verwaltungsakt aufzuheben ist. Die entscheidende Behörde hat die ihr vom Gesetzgeber gesetzten Grenzen überschritten, weil sie sich eine Entscheidung angemaßt hat, zu der sie nicht ermächtigt war. Das wird besonders dann praktisch, wenn die Entscheidungskompetenz nicht einer Behörde mit austauschbaren Beamtenpersönlichkeiten, sondern einer bestimmten Persönlichkeit oder einem bestimmten Gremium übertragen worden ist. Sind die Ermessenserwägungen nicht von dem dazu durch das Gesetz bestimmten Gremium, sondern erst im Einspruchsverfahren von der Einspruchsbehörde angestellt worden, ist der Verwaltungsakt regelmäßig als rechtswidrig durch das Gericht aufzuheben. In diesen Fällen ist auch keine Ergänzung der Ermessenserwägungen durch den Beklagten im Prozess nach § 102 S. 2 FGO möglich.
Rz. 20
Entsprechendes gilt bei der gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen, bei welchen der entscheidenden Behörde ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist. Hier geht es dem Gesetzgeber darum, dass die Beurteilung gerade von dem dazu gesetzlich ermächtigten Amtsinhaber oder Ausschuss vorgenommen wird. Wird daher eine Prüfungsleistung nicht von dem dafür vorgesehenen Prüfungsgremium bewertet, sondern etwa von der Prüfungsbehörde selbst, ist der Verwaltungsakt über die Prüfungsleistung aufzuheben.
2.2.4.1.3 Zutreffender und vollständiger Sachverhalt
Rz. 21
Eine fehlerfreie Ermessensentscheidung setzt voraus, dass das FA seiner Pflicht zur einwandfreien und erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung und zur Auswertung des bekannten bzw. erkennbaren Sachverhalts nachgekommen ist. Dabei ist jedoch festzuhalten, dass sich diese Pflicht nur auf den Sachverhalt bezieht, der die eigentliche Ermessensentscheidung betrifft (z. B. ob und in welcher Höhe ein Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird), nicht jedoch auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermessensvorschrift (z. B. die Pflichtverletzung bei Haftungsinanspruchnahme). Maßgebend sind dabei die Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art, die nach dem Sinn und Zweck der Ermessensvorschrift zu berücksichtigen wären. Eine sachgerechte Entscheidung kann von der Behörde nur getroffen werden, wenn sie ihrer Entscheidung einen zutreffenden Sachverhalt zugrunde legt. Ist die Behörde bei der gerichtlic...