Rz. 12
BVerfG v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395 (Rz. 1) hatte einen Fall der Gehörsverletzung zum Gegenstand. Dementsprechend ging der Gesetzgeber davon aus, der vom BVerfG erteilte Gesetzgebungsauftrag zur Schaffung klarer Regelungen für die bisherigen Fälle der Gegenvorstellung und der außerordentlichen Beschwerde habe sich lediglich auf die Schaffung eines Rechtsbehelfs zur Rüge von Gehörsverletzungen bezogen. Nicht davon betroffen seien die bisher anerkannten außerordentlichen Rechtsbehelfe Gegenvorstellung und außerordentliche Beschwerde. Dem entsprechen der Wortlaut sowie die Bezeichnung als "Anhörungsrüge".
Hiervon ausgehend beschränkt sich der unmittelbare Anwendungsbereich des § 133a FGO auf die Geltendmachung der Verletzung des rechtlichen Gehörs, soweit diese Rüge nach den bis 2004 geltenden Grundsätzen der Rspr. mit der Gegenvorstellung vorzubringen war (Rz. 3). Im Rügeverfahren werden daher weitere – neben der Gehörsverletzung vorgetragene – Verfahrensfehler nicht geprüft.
Jedoch liegt, wenn neben der Gehörsverletzung ausdrücklich auch andere Verfahrensfehler gerügt werden, insoweit eine Gegenvorstellung vor, über die zusammen mit der Anhörungsrüge in einem Beschluss entschieden werden kann. Da der BFH jedoch die Umdeutung einer Anhörungsrüge in eine Gegenvorstellung grundsätzlich ablehnt, muss insoweit in der Rüge zumindest auf die Gegenvorstellung hingewiesen werden (Rz. 19).
Für den Bereich der Gegenvorstellung, d. h. die Geltendmachung greifbarer Gesetzwidrigkeit aus anderen Gründen als der Gehörsverletzung, enthält die Vorschrift keine Regelung, insbesondere keine Einschränkung i. d. S., dass die Gegenvorstellung insoweit ausgeschlossen wäre. Eine analoge Anwendung für diese Fälle ist daher möglich.
Das rechtliche Gehör verlangt im Grundsatz die ausreichende Möglichkeit der Beteiligten, sich zu den entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen innerhalb angemessener Frist zu äußern. Die Entscheidungsgründe müssen – bei begründungspflichtigen Entscheidungen – erkennbar machen, dass das Gericht das wesentliche Vorbringen der Beteiligten berücksichtigt hat. Außerdem umfasst das Recht auf Gehör auch das Verbot von Überraschungsentscheidungen, das dem Gericht gebietet, die Beteiligten auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte und Erwägungen hinzuweisen, mit denen sie nicht gerechnet haben und auch nicht rechnen mussten.
Das rechtliche Gehör muss in entscheidungserheblicher Weise versagt worden sein. Die Gehörsverletzung muss somit für die mit der Anhörungsrüge angefochtene Entscheidung kausal sein. Die Kausalitätsvermutung des § 119 Nr. 3 FGO gilt hier nicht. Kausalität ist gegeben, wenn das Gericht ohne die Gehörsverletzung zu einer anderen, für den Rügeführer günstigeren Entscheidung gekommen wäre. Dabei ist von der materiell-rechtlichen Auffassung des FG auszugehen. Es genügt, dass nicht auszuschließen ist, dass die Entscheidung anders ausgefallen wäre. An der Kausalität fehlt es, wenn die Anhörungsrüge auf Erwägungen gestützt wird, die in dem vorausgegangenen Verfahren nicht vorgebracht wurden.