Rz. 34

Die Besorgnis der Befangenheit wird sich in vielen Fällen vor allem aus der Tätigkeit und dem Verhalten der betroffenen Gerichtsperson ergeben.

So können insbesondere unsachliche und unangemessene Äußerungen die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn sie deutlich machen, dass eine Trennung zwischen Person und Sache nicht mehr gewährleistet ist.[1] Dies gilt auch dann, wenn den Richter an dieser Entwicklung kein Verschulden trifft und diesem wegen der Prozessförderungspflicht eines der Beteiligten "der Geduldsfaden reißt" und das Spannungsverhältnis auf Vorgängen in einem anderen Verfahren beruht.[2] Eine freimütige und saloppe Ausdrucksweise begründet für sich aber noch nicht die Besorgnis der Befangenheit, sondern erst, wenn sich der Richter einer evident unsachlichen, unangemessenen und beleidigenden Sprache bedient.[3] Ob es sich noch um eine zulässige Unmutsäußerung oder bereits um eine unsachliche, den Abstand zwischen Person und Sache vermissende Äußerung handelt, ist stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.[4]

 

Rz. 35

Zureichende Ablehnungsgründe liegen auch nicht bereits darin, dass sich ein Richter als Berichterstatter vor dem Abschluss der mündlichen Verhandlung eine vorläufige Meinung über den Ausgang des Klageverfahrens gebildet hat, sie den Beteiligten bekannt gibt und ggf. mit der Bitte verbindet, eine Klagerücknahme zu erwägen[5]; und zwar auch dann nicht, wenn der Überzeugungsbildung ein in Form eines Urteilsentwurfs abgefasster Bericht zu Grunde lag.[6] Es entspricht vielmehr der Pflicht des Gerichts, den Verfahrensfortgang zu fördern und sich vor der Verhandlung eine vorläufige Meinung zur Sach- und Rechtslage zu bilden. Derartige richterliche Hinweise über den voraussichtlichen Verfahrensausgang liegen daher im Allgemeinen im wohl verstandenen Interesse der Beteiligten. Gleiches gilt in Bezug auf einen Hinweis auf ein in einer Parallelsache ergangenes Urteil[7] oder für nach § 96 Abs. 2 FGO gebotene Hinweise über vom Gericht festgestellte Tatsachen oder Beweisergebnisse und solche zur zweckmäßigen Beilegung des Rechtsstreits.[8]

 

Rz. 36

Die Anregung oder Anfrage einer Klagerücknahme kann die Besorgnis der Befangenheit nur ausnahmsweise begründen, wenn sie erkennen lässt, dass es dem Richter an einer Beendigung des Verfahrens "um jeden Preis" gelegen ist und Zweifel aufkommen, ob der Richter weiterhin Gründen gegen seine eigene Rechtsauffassung überhaupt noch zugänglich ist.[9] Die Mitteilung einer Rechtsansicht ist ebenfalls grundsätzlich kein Ablehnungsgrund, selbst wenn diese falsch oder für einen Beteiligten ungünstig sein sollte.[10] Denn das Richterablehnungsverfahren soll nur eine unparteiische Rechtspflege sichern und die Unparteilichkeit des mit der Sache befassten Richters sicherstellen; es soll aber nicht gegen unrichtige Rechtsansichten oder gegen unzutreffende Sachverhaltsermittlungen oder -darstellungen des Richters schützen.[11]

 

Rz. 37

Eine Richterablehnung kann daher grundsätzlich auch nicht auf eine angebliche Rechtsfehlerhaftigkeit von Entscheidungen in früheren Verfahren oder Parallelverfahren gestützt werden.[12] Keine Ablehnung rechtfertigt es ferner, wenn ein Beteiligter sich erkennbar vor einer für ihn möglicherweise ungünstigen Rechtsauffassung des Richters schützen will.[13] Denn die Überprüfung richterlicher Entscheidungen ist grundsätzlich im Rechtsmittelweg anzustreben. Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters bilden daher – selbst wenn sie objektiv vorliegen – grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund.[14]

Rechtsfehler können nur ausnahmsweise die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten beruht oder wenn der Grad der Fehlerhaftigkeit so groß ist, dass der Schluss auf Willkür gerechtfertigt erscheint.[15] Dies setzt ohne weiteres feststellbare und gravierende Rechts- oder Verfahrensfehler oder eine Häufung von Rechtsverstößen voraus, die auf unsachliche Erwägungen schließen lassen.[16] Maßgebend sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls. Sind die Fehler auf eine einzige Verfügung zurückzuführen, die in allen betroffenen Verfahren auszuführen war, kann auch aus einer großen Zahl von Verfahrensverstößen in verschiedenen Verfahren nicht ohne Weiteres auf eine negative Einstellung des Richters gegenüber dem ablehnenden Beteiligten geschlossen werden.[17]

 

Rz. 38

Erst recht können rechtmäßige Verfahrensmaßnahmen oder deren Ankündigung die Befangenheitsbesorgnis nicht begründen, auch wenn sie dazu bestimmt sind, die Mitwirkungsbereitschaft der Beteiligten zu fördern.[18] Ein Richter, der von ihm prozessual zustehenden Befugnissen in einem dem Gesetzeszweck entsprechenden Maß Gebrauch macht, erweckt bei vernünftiger und objektiver Betrachtungsweise nicht die Besorgnis der Befangenheit.[19] Auch wenn der Vorsitzende eine Versendung der Akten kurz vor dem Termin der mündlich...

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