Rz. 70
Das Gericht ist nicht etwa gehalten, verspäteten Vortrag regelmäßig zurückzuweisen, und nur, wenn die Voraussetzungen von § 79b Abs. 3 FGO gegeben sind, eine Ermessensentscheidung zu treffen, ob es den verspäteten Vortrag doch noch berücksichtigen will. Denn gem. § 79b Abs. 3 S. 1 FGO kann das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der Frist vorgebracht werden, nur zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und der Einspruchsführer die Verzögerung nicht genügend entschuldigt. Die Zulassung verspäteten Vortrags steht im freien Ermessen des Gerichts. Nur für den Fall, dass das Gericht sein Ermessen in der Weise ausübt, dass es den Vortrag zurückweisen will, sind ihm durch § 79b Abs. 3 FGO Ermessensgrenzen gesetzt.
Rz. 71
Bei seiner Ermessensentscheidung muss das Gericht das Interesse an einer Entlastung der Gerichtsbarkeit und damit der Allgemeinheit an einem raschen Zugang zu den Rechtsprechungsressourcen einerseits abwägen gegen das Interesse des Einzelnen an einem möglichst effektiven Rechtsschutz und, wenn die Zurückweisung von Vorbringen des Beklagten in Rede steht, der Allgemeinheit an der sachlichen Richtigkeit der Entscheidung andererseits. Die Vorschrift, mit deren Hilfe im Interesse der Verfahrensbeschleunigung und -begrenzung gesetzte Ausschlussfristen für das tatsächliche Vorbringen zu einem Ausschluss weiteren Vorbringens führen können, will zunächst verhindern, dass das Gerichtsverfahren zur Verschleppung der Steuerfestsetzung insbesondere in Schätzungsfällen benutzt wird. Sie dient weiter dem Ziel, das Verfahren möglichst zügig in einer mündlichen Verhandlung zum Abschluss zu bringen. Dem läuft es zuwider, wenn entscheidungserhebliche Umstände erst nach und nach vorgetragen werden, weil dann die mündliche Verhandlung vertagt werden muss, damit die übrigen Beteiligten wegen des Anspruchs auf rechtliches Gehör und das Gericht wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes Gelegenheit haben, sich auf den neuen Vortrag einzustellen. Wegen des Justizgewährungsanspruchs aus Art. 19 Abs. 4 GG darf weiteres Vorbringen auch nach Ablauf einer wirksam nach § 79b FGO gesetzten Ausschlussfrist im weiteren Gerichtsverfahren nicht von Gesetzes wegen ausgeschlossen sein. Vielmehr hat das Gericht eine Ermessensentscheidung unter Beachtung der Kriterien aus § 79b Abs. 3 FGO zu treffen, ob der Beteiligte mit verspätetem Vorbringen ausgeschlossen werden soll.
Rz. 72
Will das Gericht weiteres Vorbringen zurückweisen, muss es unter Beachtung von § 79b Abs. 3 eine Ermessensentscheidung treffen. Vor dieser Entscheidung ist den Beteiligten grundsätzlich kein rechtliches Gehör zu gewähren. I.d.R. wissen die Beteiligten infolge der Belehrung, dass sie mit weiterem Vorbringen präkludiert sein können, sodass damit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs Genüge getan ist. Es muss dann in jedem Einzelfall abgewogen werden, ob trotz Versäumen der Ausschlussfrist weiteres Vorbringen zu berücksichtigen ist, weil dessen Berücksichtigung zu keiner wesentlichen Verzögerung des Rechtsstreits führen würde , der Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Klägers leicht aufgeklärt werden könnte oder die Fristversäumnis zu entschuldigen ist . Lässt das Gericht Präklusion eintreten, hat es durch Urteil zu entscheiden und in diesem seine Ermessensentscheidung zu begründen, um sie in einem eventuell anschließenden Revisionsverfahren überprüfbar zu machen. So kann es im Ergebnis zu einem "Zwischenstreit" darüber kommen, ob erstens die Ausschlussfrist im Klageverfahren wirksam gesetzt worden ist, und zweitens die Ermessensentscheidung des FG, die Fristversäumnis führe zu einer Verzögerung des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens bzw. der Sachverhalt hätte ohne Mitwirkung des Einspruchsführers nicht leicht ermittelt werden können und die Verspätung sei nicht genügend entschuldigt, ermessensfehlerfrei zustande gekommen ist.