Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Rz. 218
Handelt es sich um einen "echten" Schadensersatz, liegt kein Leistungsaustausch vor, der Vorgang ist nicht steuerbar nach § 1 Abs. 1 UStG. Da kein steuerbarer Umsatz vorliegt, kann auch keine USt entstehen. Wenn keine USt entsteht, darf auch kein gesonderter Ausweis einer USt in einer Abrechnung oder einem anderen Dokument vorgenommen werden. Hat ein Beteiligter dennoch – vorsätzlich oder in Unkenntnis der tatsächlichen Rechtsverhältnisse – eine USt gesondert ausgewiesen, handelt es sich um einen unberechtigten Steuerausweis i. S. d. § 14c Abs. 2 UStG. Der Aussteller schuldet diese unberechtigt ausgewiesene USt, kann aber unter den weiteren Voraussetzungen des § 14c Abs. 2 UStG die Abrechnung korrigieren. Dazu muss ein Antrag auf Berichtigung des unberechtigten Steuerausweises bei dem zuständigen FA gestellt werden, darüber hinaus ist die Korrektur davon abhängig, dass die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt ist (es muss sichergestellt sein, dass der Abrechnungsempfänger keinen Vorsteuerabzug vorgenommen hat bzw. ein zu Unrecht vorgenommener Vorsteuerabzug rückgängig gemacht worden ist).
Rz. 219
Aber nicht nur derjenige, der bei einer echten Schadensersatzleistung die Zahlung empfängt muss auf korrekte Abrechnung achten. Auch der Zahlende muss auf eine korrekte Anforderung einer Schadensersatzzahlung achten, da eine ihm gegenüber ausgewiesene USt nicht als Vorsteuer abzugsfähig ist – eine nach § 14c Abs. 2 UStG unberechtigt ausgewiesene USt kann grundsätzlich nicht als Vorsteuer geltend gemacht werden.
Rz. 219a
Umstritten ist, wie mit einem Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen verfahren wird, die ein Unternehmer zur Beitreibung eines echten Schadensersatzes beziehen muss. Hier sind insbesondere Rechtsverfolgungskosten (z. B. Aufwendungen für einen Rechtsanwalt zur Verfolgung eines Eingriffs in die Rechte des Unternehmers) zu nennen, die der Unternehmer aufwendet und die dann im wirtschaftlichen Ergebnis zu einem echten Schadensersatz führen könnten. Hier wird teilweise in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass der Vorsteuerabzug zu versagen ist, da nach der Rechtsprechung des EuGH Aufwendungen eines Steuerpflichtigen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen, wenn sich diese auf Tätigkeiten beziehen, die aufgrund ihres nichtwirtschaftlichen Charakters nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen. Dieser Auffassung kann sowohl wirtschaftlich als auch systematisch nicht zugestimmt werden. Der nicht steuerbare Schadensersatz führt nicht zu einem "nicht steuerbaren Umsatz", es liegt überhaupt gar kein Umsatz vor, da der Geschädigte keine Leistung ausgeführt hat. Der EuGH verweist in seiner ständigen Rechtsprechung stets darauf, "dass der Unternehmer durch die in der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Regelung über den Vorsteuerabzug vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden soll. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem versucht daher, völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten zu gewährleisten, und zwar unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen". Aus diesen Grundsätzen wird deutlich, dass die Verknüpfung der Eingangsleistungen zu einem Ausgangsumsatz, einer "Tätigkeit" i. S. d. Rechtsprechung des EuGH hergestellt werden muss. Der Erhalt eines Schadensersatzes ist weder eine Tätigkeit i. S. d. Rechtsprechung des EuGH noch eine Ausgangsleistung im wirtschaftlichen oder systematischen Sinne. Da die Aufwendungen zur Beitreibung eines echten Schadensersatzes somit weder für vorsteuerabzugsschädliche Zwecke bezogen werden noch für einen in diesem Fall gar nicht vorhandenen "nichtwirtschaftlichen Bereich" des Steuerpflichtigen bestimmt sind, ist die Vorsteuerabzugsberechtigung in Abhängigkeit der wirtschaftlichen Ausgangsleistungen des Unternehmers zu gewähren. Dies entspricht im wirtschaftlichen Ergebnis auch der Rechtsprechung des EuGH in den Fällen, in denen der Unternehmer Investitionen mit nicht der USt unterliegenden echten Zuschüssen finanziert und trotzdem der Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen im vollem Umfang entsprechend der tatsächlich bewirkten wirtschaftlichen Tätigkeiten vorgenommen werden kann. Soweit in solchen Fällen der Vorsteuerabzug in analoger Anwendung der Rechtsprechung über den nichtwirtschaftlichen Bereich eines Unternehmers dem Steuerpflichtigen versagt werden sollte, würde über die vom EuGH festgestellten Grundsätze hinaus das Recht auf Vorsteuerabzug in unzulässiger Weise eingeschränkt werden. Dies würde nicht nur in Fällen der Aufwendungen zur Beitreibung eines echten Schadensersatzes zu neuen Grundsätzen führen, sondern auch alle Bereiche der Wirtschaft erfassen, in denen Aufwendungen im Zusammenhang mit Schadensersatzleistungen getätigt werden (z. B. Reparatur eines unternehmerisch genutzten Lkw nach einem Unfall gegen nicht steuerbaren...