Rz. 10
§ 26b UStG beinhaltet ein Unterlassungsdelikt als Ordnungswidrigkeit. Durch die Schaffung der Vorschrift sollte eine Regelungslücke für den Fall (eines tatsächlich eingetretenen Umsatzsteuerausfalls) geschlossen werden, dass eine Bestrafung nach § 370 AO deshalb ausscheidet, weil die Tatbestandsmerkmale der "normalen" Steuerhinterziehung nicht vorliegen. Gerade bei den sog. Umsatzsteuerkarussellen wurden von einzelnen Tätern den Formerfordernissen entsprechende richtige Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben, ohne jedoch die daraus geschuldeten Steuerschulden zu bezahlen, was hier von vornherein beabsichtigt war. Jedenfalls stellt diese bloße "Nichtabführung der Umsatzsteuer" - selbst bei vorsätzlichem Handeln – auch keinen Betrug i. S. d. Unionsrechts dar.
Rz. 11
In einigen derartigen Fällen wurde von den (kriminellen) Unternehmern darauf geachtet, dass sämtliche umsatzsteuerlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug aus den von ihnen gestellten Rechnungen vorlagen. Die geschuldete USt wurde ordnungsgemäß gegenüber der Finanzbehörde in einer Voranmeldung erklärt, bezahlt wurde die Steuerschuld allerdings – wie von vornherein geplant – nicht. Die Neuregelung sollte diese "Lücke" schließen. Hinzuweisen ist darauf, dass die umsatzsteuerlichen Auswirkungen von einer solchen Sanktionsnorm nicht berührt werden. Ob die korrekte Voranmeldung bei der Finanzbehörde ohne Bezahlung der Steuerschuld abgegeben wird oder gar keine Steuererklärung, bleibt auf das Steueraufkommen ohne Einfluss. In beiden Fällen führt die Nichtzahlung i. d. R. zu einem endgültigen Steuerausfall, weil der Leistungsempfänger (zumeist) den Vorsteueranspruch aus den Rechnungen geltend machen kann.
Rz. 12
Inwieweit die in der Gesetzesbegründung geschilderte Gesetzeslücke tatsächlich bestand, erscheint jedenfalls zweifelhaft. Insbesondere bei den genannten Fällen der Rechnungsausstellung und der Abgabe diesen Rechnungen entsprechenden Umsatzsteuervoranmeldungen in Umsatzsteuerkarussellfällen durch die "missing trader" wird bereits diese "Tätigkeit" in den meisten Fällen zu einer Strafbarkeit nach § 370 AO führen, denn der Betreffende hat mindestens Beihilfe an der Steuerhinterziehung eines anderen begangen (wenn hier auch die Beweiswürdigung mitunter schwierig ist). Anzumerken bleibt auch, dass der überwiegende Teil der "missing trader" von der Anmeldung der in den Rechnungen ausgewiesenen USt absehen wird, denn eine Voranmeldung hoher Umsätze steigert das Risiko der frühzeitigen Entdeckung durch die Finanzbehörde. Ein entdeckter "missing trader" ist aber "wertlos" in einem Umsatzsteuerkarussell (§ 26c UStG Rz. 14f.).
Rz. 13
Aus diesen Gründen stellt sich die Frage, ob die Regelung des § 26b UStG nicht vornehmlich solche Unternehmer trifft, die einfach nur mit der Zahlung ihrer Steuerschuld in Verzug geraten sind. Dieses Problem dürfte in der Praxis tatsächlich bestehen. Zur Bekämpfung des organisierten Umsatzsteuerbetrugs hat die Vorschrift wohl nur wenig beigetragen. Bereits nach der Strafsachenstatistik des BMF aus dem Jahr 2003 gab es in Deutschland nur 167 rechtskräftig gewordene Bußgeldbescheide nach § 26b UStG wegen der Schädigung des Umsatzsteueraufkommens. Im Jahr 2012 sind dann immerhin 596 Fälle von Ordnungswidrigkeiten abgeschlossen worden Auch die aktuelleren Zahlen aus dem Jahr 2018 weisen keine signifikanten Steigerungen aus, hier ist von 1.075 Verfahren nach § 26b die Rede. Deshalb ist wohl festzuhalten, dass die Vorschrift eher einen "Auffangtatbestand" für solche Fälle beinhaltet, in denen die Beteiligung an einer Steuerhinterziehung in einem Umsatzsteuerkarussell für einzelne Beteiligte nicht nachweisbar ist; hier bleibt dann eventuell der Vorwurf nach § 26b UStG "hängen".
Rz. 14
Mit durchaus guten Gründen wird deshalb in der Literatur unter Heranziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des unionsrechtlich vorgegebenen Grundsatzes der Neutralität der USt gefordert, dass eine Bestrafung nach § 26b UStG jedenfalls dann ausscheidet, wenn eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens mangels Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers nicht eingetreten ist. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ist der Tatbestand des § 26b UStG häufig bei solchen Sachverhalten als erfüllt anzusehen, bei denen eine Bestrafung durch einen besonderen Ordnungswidrigkeitstatbestand niemals das Ziel der Einfügung des § 26b UStG war. Küffner/Hofmann ist auch darin beizupflichten, dass solche Fälle anders zu bewerten sind, in denen der Fiskus über einen grundsätzlich rechtlich durchsetzbaren Anspruch verfügt, als Fälle, in denen der Steuerausfall deshalb auf der Hand liegt, weil der die Steuer anmeldende Unternehmer niemals auch nur ansatzweise dazu in der Lage ist, die geschuldete Steuer zu zahlen.
Rz. 15–16 einstweilen frei