Rz. 25
VersSt und USt sind nach Unionsrecht voneinander unabhängig. Die Festsetzung und Erhebung der VersSt verstößt nicht gegen Art. 401 MwStSystRL. Hiernach sind die Mitgliedstaaten der EU ausdrücklich nicht daran gehindert, u. a. nationale Steuern oder Abgaben auf Versicherungsverträge, die nicht den Charakter von USt haben, beizubehalten oder einzuführen, sofern die Erhebung dieser Abgaben oder Steuern im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht mit Formalitäten beim Grenzübertritt verbunden sind. Im Rückschluss ergibt sich hieraus eine Sperrwirkung für die Beibehaltung oder Einführung einer Steuer auf Versicherungsverträge, die ihrem Wesen nach als Mehrwertsteuer im EU-rechtlichen Sinn angesehen werden muss. Wesentlich für die MwSt ist nach der Rechtsprechung des EuGH ihre allgemeine Geltung für alle sich auf Gegenstände und Dienstleistungen beziehenden Geschäfte, ihre Unabhängigkeit von der Anzahl der getätigten Geschäfte, ihre Proportionalität zum Preis der Leistungen, ihre Erhebung auf jeder Erzeugungs- und Vertriebsstufe und die Beschränkung der Besteuerung auf den jeweils stufenbezogenen Mehrwert. Bei Anwendung dieses Maßstabs ist die VersSt keine besondere Art von USt im Rechtssinn, sondern unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von dieser. Der BFH hatte bereits in seinem Beschluss v. 23.11.2010 im Einzelnen ausgeführt, dass die VersSt unter Berücksichtigung des Art. 33 Abs. 1 der 6. EG-RL nicht den Charakter einer Mehrwertsteuer hat.
Rz. 26
Die VersSt ist eine Rechtsverkehrsteuer auf den Geldumsatz im Versicherungswesen. Der die VersSt auslösende Tatbestand besteht somit rechtstechnisch überhaupt nicht in der Erbringung einer unternehmerischen Leistung durch den Versicherer – etwa in Gestalt der Übernahme des versicherten Risikos – sondern allein in der Zahlung des Versicherungsentgelts aufgrund eines Versicherungsverhältnisses. Insoweit erfasst die VersSt nur den Prämienaufwand des Versicherungsnehmers. Die Entstehung der VersSt ist damit unabhängig davon, ob der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer überhaupt Leistungen erbringt und welchen Umfang diese ggf. haben. Insoweit fehlt es an einer "Leistungskette" im Sinn einer auf Leistungsstufen bezogenen Besteuerung wie an der steuerlichen Erfassung eines "Mehrwerts". Schuldner der VersSt ist allein der auch die wirtschaftliche Last tragende private oder unternehmerisch tätige Versicherungsnehmer. Dieser hat jedoch grds. die geschuldete Steuer weder selbst an die Finanzbehörde zu entrichten hat noch als Adressat eines VersSt-Bescheids in Betracht kommt. Die VersSt hat im Regelfall der Versicherer nach Abgabe einer entsprechenden Steueranmeldung an die Finanzbehörde abzuführen. Denn nach § 7 Abs. 2 VersStG ist Steuerentrichtungsschuldner der Versicherer, soweit § 7 Abs. 3 bis 5 VersStG kein anderer zum Steuerentrichtungsschuldner bestimmt ist oder nach § 7 Abs. 6 VersStG der Versicherungsnehmer als Steuerschuldner die Steuer zu entrichten hat. Der Steuerentrichtungsschuldner hat als eigenständige Schuld die Steuer für Rechnung des Versicherungsnehmers zu entrichten.
Rz. 27
Die Gemeinsamkeit der VersSt mit der USt beschränkt sich auf deren beider Rechtsnatur als Verkehrsteuern. Die VersSt ist eine Verkehrsteuer auf den Vorgang des Geldumsatzes. Der Zweck der USt-Befreiung der Versicherungsleistungen des Versicherers gem. § 4 Nr. 10 Buchst. a S. 1 UStG besteht somit auch darin, eine Mehrfachbesteuerung durch zwei Verkehrsteuern, d. h. dem Grund nach in dieser Hinsicht gleichartige Steuern, zu vermeiden. Die gemeinsame Rechtsnatur der VersSt und der USt als Verkehrsteuer berührt jedoch nicht die Sperrwirkung des Art. 401 MwStSystRL. Die meisten EU-Mitgliedstaaten haben von Art. 401 MwStSystRL Gebrauch gemacht, eine entsprechende Steuer oder Abgabe auf Versicherungsverträge oder Versicherungsprämien einzuführen oder beizubehalten. Die Abgaben werden in den Mitgliedstaaten nach unterschiedlichen Kriterien, in unterschiedlicher Höhe und bezogen auf unterschiedliche Versicherungsarten als VersSt, Prämiensteuer oder Stempelgebühr erhoben.