Rz. 83
Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL enthält die grundsätzliche Begriffsbestimmung des Steuerpflichtigen (Unternehmer). Von zentraler Bedeutung ist hierbei der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeiten. Dies sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen erfasst. Bei Lieferungen innerhalb eines sog. Umsatzsteuerkarussells, die nicht selbst mit Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind, stellen diese Umsätze eine wirtschaftliche (unternehmerische) Tätigkeit dar, wenn sie die objektiven Kriterien der wirtschaftlichen Tätigkeit bzw. des Lieferbegriffs erfüllen. Es kommt auf die Absicht eines anderen Unternehmers in der Lieferkette (den der betroffene Unternehmer weder kannte noch kennen konnte), Umsatzsteuerbetrügereien zu begehen, nicht an. Das Vorsteuerabzugsrecht des betroffenen Unternehmers, der Umsätze in einer Lieferkette ausführt, wird auch nicht dadurch berührt, dass in der Lieferkette ein anderer Umsatz, der dem vom betroffenen Unternehmer getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet ist, ohne dass der betroffene Unternehmer hiervon Kenntnis hat oder haben kann. Das gilt zwar auch dann, wenn der Betrug mit dem Eingangsumsatz einhergeht, für den der Betroffene den Vorsteuerabzug begehrt. In einem solchen Fall ist der Vorsteuerabzug jedoch ausgeschlossen, wenn der Betroffene von dem Betrug Kenntnis hatte (oder hätte haben müssen).
Rz. 84
Die Vermietung eines körperlichen Gegenstands ist eine Nutzung i. S. d. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL, wenn sie nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen erfolgt. Zweck und Ergebnis einer solchen Tätigkeit sind unerheblich. Der Begriff der Nutzung bezieht sich auf alle Vorgänge ohne Rücksicht auf deren Rechtsform, die darauf abzielen, aus dem betroffenen Gegenstand nachhaltig Einnahmen zu erzielen. Ein Gesellschafter, der ein Gebäude entgeltlich an die Gesellschaft vermietet, an der er beteiligt und die Unternehmer ist, wird mit der Vermietungsleistung selbst unternehmerisch tätig. Dies gilt auch dann, wenn die Vermietungsleistung die einzige Tätigkeit des Gesellschafters gegenüber seiner Gesellschaft ist. Die Gesellschaft und der Gesellschafter können insoweit nicht als unternehmerische Einheit angesehen werden. Der Geschäftsführer und Alleingesellschafter einer GmbH, der lediglich ein festes Monatsgehalt und ein jährliches Urlaubsgeld und sonst keine weiteren Vergütungen für seine Tätigkeit erhält, ist nicht Steuerpflichtiger (Unternehmer) i. S. v. Art. 9 Abs. 1, Art. 10 MwStSystRL.
Art. 9 Abs. 1 und Art. 193 MwStSystRL sind dahingehend auszulegen, dass eine natürliche Person, die mit einer anderen natürlichen Person eine Vereinbarung über eine gemeinsame Tätigkeit geschlossen hat, mit der eine Personengesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit begründet wird, in deren Rahmen die erste Person im Namen aller Partner zu handeln befugt ist, jedoch im Verhältnis zu Dritten – wenn sie die Handlungen vornimmt, aus denen die mit dieser Personengesellschaft verfolgte wirtschaftliche Tätigkeit besteht – allein und im eigenen Namen auftritt, diese Tätigkeit selbstständig ausübt und daher als "Steuerpflichtiger" i. S. v. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL und als alleinige Schuldnerin der MwSt nach Art. 193 MwStSystRL anzusehen ist, da sie als Kommissionärin für eigene oder für fremde Rechnung i. S. d. Art. 14 Abs. 2 Buchst. c und Art. 28 MwStSystRL tätig wird.
Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL kann nicht dazu führen, einer Person die Eigenschaft als Mehrwertsteuerpflichtiger zu versagen, die während eines bestimmten Besteuerungszeitraums für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevante Umsätze bewirkt, deren wirtschaftlicher Wert den in einer nationalen Regelung festgelegten Schwellenwert, der dem Ertrag entspricht, der bei den dieser Person zur Verfügung stehenden Vermögenswerten vernünftigerweise erwartet werden kann, nicht erreicht. Damit ist es auch nach Art. 167 MwStSystRL unzulässig, dem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug aufgrund des als unzureichend angesehenen Betrags seiner für die Zwecke der MwSt relevanten Ausgangsumsätze zu versagen. Zur Unternehmereigenschaft eines Vereins ohne Gewinnerzielungsabsicht zur Durchführung von aus Unionsmitteln subventionierten Fortbildungsprojekten vgl. EuGH v. 4.7.2024.
Rz. 85
Die gebührenpflichtige Überlassung von Straßen, Tunnels und Brücken ist eine wirtschaftliche (unternehmerische) Tätigkeit. Eine hoheitliche, nicht umsatzsteuerbare Tätigkeit liegt nur dann vor, wenn die Straßennetzbetreiber öffentlich-rechtliche Einrichtungen sind und im Rahmen besonderer gesetzlicher Regelungen tätig werden. Sind die Betreiber keine öffentlichen Einrichtungen, ist ihre Tätigkeit auch dann unternehmerisch, w...