Rz. 575
Der Rat hatte am 12.2.2008 insgesamt drei Rechtsakte verabschiedet, die auf EU-Ebene unter dem Arbeitstitel "Mehrwertsteuerpaket" beraten worden waren. Mit der Richtlinie 2008/8/EG wurden im Wesentlichen die Vorschriften über den Ort der Dienstleistungen revidiert, der Anwendungsbereich der zwingenden Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger (Reverse Charge) erweitert, die Regelung über die sog. einzige Anlaufstelle auf Telekommunikations- sowie Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen ausgedehnt (sog. kleiner One-Stop-Shop) sowie das Verfahren der Abgabe Zusammenfassender Meldungen auf innergemeinschaftliche Dienstleistungen erweitert. Mit der Richtlinie 2008/9/EG (Abschn. 4.11) wurden das Verfahren der Mehrwertsteuererstattung (Vorsteuer-Vergütung) an EU-Unternehmer auf eine neue Grundlage gestellt und die 8. EG-Richtlinie, die dieses Verfahren bisher regelte, aufgehoben. Mit der VO Nr. 143/2008 wurde die sog. Zusammenarbeitsverordnung Nr. 1798/2003 geändert und an den erhöhten Informationsaustausch der EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Neuregelungen zum Ort der Dienstleistung, des kleinen One-Stop-Shops und des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens angepasst. Die Verordnung ist unmittelbar geltendes Recht und trat am 1.1.2010 in Kraft bzw. beinhaltete hinsichtlich der Bestimmungen zum One-Stop-Shop erneute Änderungen zum 1.1.2015.
Rz. 576
Die Richtlinie 2008/8/EG enthält Änderungen zu verschiedenen Kapiteln der MwStSystRL. Zu nennen sind hier insbesondere:
- Neubestimmung des mehrwertsteuerlichen Orts von Dienstleistungen mit unterschiedlichen Inkrafttretenszeitpunkten für bestimmte Umsätze
- Ergänzende Regelungen zur (zwingenden) Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger
- Erweiterung der Pflicht zur Abgabe Zusammenfassender Meldungen auf steuerpflichtige Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat
- Erweiterung der vorherigen Sonderregelung zur sog. einzigen Anlaufstelle für Drittlandsunternehmer mit elektronischen Dienstleistungen an Private um Telekommunikationsdienstleistungen und Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen
- Erweiterte Anwendung dieser Sonderregelung auch auf EU-Auslandsunternehmer mit Telekommunikationsdienstleistungen, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen sowie elektronischen Dienstleistungen an Private.
Rz. 577
Anders als nach altem Recht (Sitzort des leistenden Unternehmers) gilt seit 1.1.2010 bei B2B-Umsätzen als Ort der Dienstleistung grundsätzlich der Sitzort des Leistungsempfängers oder der Sitz der festen Niederlassung, wenn die Leistung an eine feste Niederlassung des Leistungsempfängers erbracht wird.
Rz. 578
Für Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige (B2C-Umsätze) gilt weiterhin der Grundsatz, dass der Leistungsort dort ist, wo der leistende Unternehmer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat bzw. Sitz der festen Niederlassung, wenn die Leistung von einer festen Niederlassung aus erbracht wird.
Rz. 579
Für alle Dienstleistungen, für die die jeweilige Grundregelung (B2B: Bestimmungsland; B2C: Ursprungsland) nicht anwendbar ist, enthalten die Art. 46ff. MwStSystRL abschließend aufgeführte abweichende Ortsregelungen. Ist keine dieser speziellen Regelungen anwendbar, gilt jeweils die entsprechende Grundregelung für den B2B- bzw. B2C-Bereich.
Rz. 580
MWv 1.1.2010 wurden auch die Regelungen zur (zwingenden) Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger geändert. Nach Art. 196 MwStSystRL schuldet der Steuerpflichtige (oder eine nichtsteuerpflichtige juristische Person mit einer MwSt-IdNr.; hierunter fallen insbesondere Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder reine Holdinggesellschaften als Nichtunternehmer, die jedoch eine MwSt-IdNr. besitzen), für den/die eine Dienstleistung nach Art. 44 MwStSystRL erbracht wird, die Steuer, wenn die Dienstleistung von einem nicht in diesem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wird. Die zwingende Verlagerung der Steuerschuld kommt also immer bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen im B2B-Bereich in Betracht, für die die grundlegende Ortsregelung gemäß Art. 44 MwStSystRL (Verlagerung des Leistungsorts an den Sitzort des Empfängers) anwendbar ist.
Rz. 581
Die zwingende Verlagerung der Steuerschuldnerschaft bei B2B-Umsätzen gilt somit insbesondere nicht für
- Dienstleistungen auf dem Gebiet der Kultur, Künste, Sport, Wissenschaft, Unterricht, Unterhaltung oder ähnliche Veranstaltungen wie Messen und Ausstellungen,
- Dienstleistungen im Zusammenhang mit Grundstücken,
- Restaurant- und Verpflegungsleistungen (sei es an Bord eines Beförderungsmittels oder anderswo) sowie
- die kurzfristige Vermietung von Beförderungsmitteln.
Rz. 582
Nach Art. 192a MwStSystRL gilt für Zwecke der Anwendung der Reverse-Charge-Regelung ein Steuerpflichtiger, der in dem Mitgliedstaat, in dem die Steuer geschuldet wird, über eine feste Niederlassung verfügt, als nicht in diesem Mitgliedstaat ansässig, wenn er in diesem Mitgliedstaat eine steuerpflichtige Lieferung oder Dienstleistung erbringt und seine...