Leitsatz
§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, wonach die Gewährung von Kindergeld für Kinder ausscheidet, für die im Ausland mit dem Kindergeld vergleichbare Leistungen gewährt werden, wird durch Gemeinschaftsrecht verdrängt, wenn Deutschland der nach Art. 77 EWG-VO Nr. 1408/71 zuständige Mitgliedsstaat ist. Die Schweizer Kinderrente und die Schweizer Invalidenrente sind einer Familienhilfe nicht gleichartig, so dass das deutsche Kindergeld zu zahlen ist.
Sachverhalt
Der Kläger ist Rentner und hat im Jahr 2011 Kindergeld für seinen im Jahr 1992 geborenen Sohn, welcher in einem eigenen Haushalt lebte und ab Oktober 2011 studierte, die Gewährung von Kindergeld beantragt. Die Familienkasse (FK) lehnte den Antrag ab, da die von dem Sohn bezogene Schweizer Kinderrente zu einem Ausschluss des Kindergeldes führe. Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, dass diese Auffassung nicht zutreffe.
Entscheidung
Nach Auffassung des FG steht dem Kläger gem. § 64 Abs. 3 Satz 1 EStG Kindergeld zu, da er als einziger Kindergeldberechtigter dem Sohn eine Unterhaltsrente zahlt. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG steht dem nicht entgegen, da diese Vorschrift durch vorrangiges Gemeinschaftsrecht verdrängt wird. Der Kläger fällt unter den persönlichen Anwendungsbereich der EWG-VO Nr. 1408/71. Der in Deutschland wohnende Kläger hat einen Anspruch auf das deutsche Kindergeld, dass eine in Art. 77 Abs. 1 EWG-VO Nr. 1408/71 genannte Leistung ist. Im Streitfall greift auch Art. 79 Abs. 3 Satz 1 EWG-VO Nr. 1408/71 nicht ein, da die Schweizer Kinderrente dem deutschen Kindergeld als Familienbeihilfe nicht gleichartig ist. Eine Familienhilfe in diesem Sinne ist eine regemäßige Geldleistung, die ausschließlich nach Maßgabe der Zahl und ggf. des Alters von Familienangehörigen gewährt wird. Dies trifft auf die Schweizer Kinderrente nicht zu, welche von dem Bestehen einer Invalidenrente abhängig ist.
Hinweis
Die wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassene Revision wurde von der FK nicht eingelegt. Die Vorschriften zur Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit der EWG-VO Nr. 1408/71 führten jedoch in letzter Zeit zu zahlreichen Verfahren bei den FG, bei denen es in der Regel um die Gewährung des Kindergelds geht. In diesen Verfahren - welche teilweise zu Gunsten und teilweise zu Lasten der Kindergeldberechtigten entschieden wurden - haben die FG ebenfalls die Revisionen zugelassen, mit der Folge dass eine Fülle von Verfahren beim BFH anhängig sind (z. B. III R 2/13, III R 4/13, III R 7/13, III R 8/13, III R 10/13, III R 11/13, III R 18/13, V R 63/10, V R 64/10, V R 11/13, XI R 28/12, XI R 55/10, XI R 56/10).
Link zur Entscheidung
FG Hamburg, Urteil vom 28.02.2013, 1 K 109/12