Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder. Verwaltungsverfahren. Folgen von Verfahrens- und Formfehlern eines Widerspruchsbescheides. Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht
Leitsatz (amtlich)
Zu den Folgen von Verfahrens- und Formfehlern eines Widerspruchsbescheides.
Orientierungssatz
1. Nach § 240 Abs 1 S 2 SGB 5 - sowohl in der bis zum 31.12.2008 als auch in der ab 1.1.2009 geltenden Fassung - ist bei der Beitragsbemessung sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Mit einzubeziehen sind demnach alle Einnahmen und Geldmittel, die das freiwillige Mitglied zum Lebensunterhalt verbraucht oder verbrauchen könnte, und zwar ohne Rücksicht auf die steuerliche Behandlung der Einkünfte (vgl BSG vom 30.10.2013 - B 12 KR 21/11 R = SozR 4-2500 § 240 Nr 19).
2. Die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler des GKV-Spitzenverbands stehen im Einklang mit höherrangigem Recht.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Höhe der von der Beklagten festgesetzten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.
Die Klägerin ist hauptberuflich selbständig tätig und bei der Beklagten freiwillig krankenversichert. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2008 setzte die Beklagte den Gesamtbeitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 1. Dezember 2008 unter Zugrundelegung von monatlichen Bruttoeinkünften in Höhe von 3.404,00 EUR auf insgesamt 468,05 EUR monatlich fest. Nach Vorlage des von der Beklagten angeforderten vollständigen Einkommensteuerbescheides 2007, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 40.847,00 EUR, Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 2.472,00 EUR und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von -2.489,00 € ausweist, setzte sie die monatlichen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung mit Bescheid vom 29. Juli 2009 ab dem 1. August 2009 auf insgesamt 597,19 EUR monatlich fest. Am 31. Mai 2011 ging der Einkommensteuerbescheid 2010 bei der Beklagten ein, welcher die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb auf 45.232,00 EUR und die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung auf -5.961,00 EUR festsetzt. Am 8. Juni 2011 legte die Klägerin den Einkommensteuerbescheid für 2009 vor. Dieser setzt die Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf 51.959,00 EUR und die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung auf -13.631,00 EUR fest. Daraufhin erhöhte die Beklagte den Gesamtbeitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 1. Juli 2011 mit Bescheid vom 8. Juni 2011 auf insgesamt 625,55 EUR monatlich.
Mit Schreiben vom 28. Februar 2012 beantragte die Klägerin nach § 44 SGB X die Rücknahme „des bisherigen Verwaltungsaktes“ wegen Unrichtigkeit, weil die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung seit dem Jahr 2007 bei der Beitragsberechnung nicht berücksichtigt worden seien. Dem Antrag legte die Klägerin die Einkommensteuerbescheide 2007 bis 2010 bei. Aus dem Einkommensteuerbescheid 2008 ergeben sich Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 47.924,00 EUR, Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 1.002,00 EUR und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von -5.616,00 EUR.
Mit Schreiben vom 7. März 2012 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass für die Jahre 2008 bis 2011 keine Beitragskorrektur vorgenommen werden könne. Nach den Einkommensteuerbescheiden für diese Jahre übersteige das Einkommen der Klägerin die jeweilige Höchstbemessungsgrenze, wobei eine Saldierung von negativen Einkünften aus selbständiger Tätigkeit mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten und umgekehrt nicht zulässig sei.
Mit Schreiben vom 15. März 2012 führte die Klägerin aus, sie bestehe nach wie vor auf eine rückwirkende Neuberechnung der Beiträge. Der Beitragszahlung könnten nur Einnahmen zugrunde gelegt werden, die auch zuflössen und über die die Klägerin verfügen könne. Daher sei der sogenannte steuerliche vertikale Verlustausgleich zu berücksichtigen. Denn die Beitragsermittlung im Sozialrecht habe sich an der tatsächlichen Leistungsfähigkeit und an tatsächlichen Mittelzuflüssen zu orientieren. Mit Schreiben vom 25. April 2012 trug die Klägerin überdies vor, die Beitragsverfahrensgrundsätze seien falsch und unvollständig, weil sie keine Härtefallregelung enthielten, worunter auch die Klägerin falle.
In ihrer Sitzung am 2. Oktober 2012 in C. wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass ein vertikaler Verlustausgleich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in Beitragsangelegenheiten nicht zulässig sei.
Am 5. November 2012 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte bei der Beitragsberechnung einen vertikalen Verlustausgleich hätte berücksichtigen müssen. Die von der Beklagten im Wid...