0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Rechtsvorschrift ist durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) v. 14.11.2003 (BGBl. I S. 2190) mit Wirkung zum 1.1.2004 eingefügt worden. Ausschlaggebend dafür waren die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung des Deutschen Bundestages (BT-Drs. 151/1584), denen der Bundestag mit Gesetzesbeschluss v. 26.9.2003 (BR-Drs. 675/03) gefolgt war. Im ursprünglichen Gesetzentwurf zum GMG war die Vorschrift nicht enthalten.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Rechtsvorschrift soll eine als solche erkannte Versorgungslücke in der ambulanten ärztlichen Behandlung von krankenversicherten Menschen mit geistiger Behinderung schließen. Sie eröffnet insoweit ein zielgruppenspezifisches Angebot, die ambulante ärztliche Behandlung geistig behinderter Menschen zu ergänzen bzw. die ambulante ärztliche Versorgung für diesen Personenkreis deutlich zu verbessern.
Rz. 3
Eine geistige Behinderung ist über die normalen Gesundheitsrisiken der Durchschnittsbevölkerung hinaus häufig mit speziellen Krankheitsrisiken und Behinderungen verbunden. Außerdem zeigen Menschen mit geistiger Behinderung oft Besonderheiten in der Krankheitssymptomatik, dem Krankheitsverlauf sowie der Diagnostik und Therapie. Darüber hinaus unterscheidet sich ihr krankheitsbezogenes Kommunikations- und Kooperationsverhalten oftmals von dem nichtbehinderter Menschen, so dass ihre ambulante ärztliche Behandlung spezifischer fachlicher Kompetenzen und besonderer Rahmenbedingungen bedarf. Die Vorschrift gewährleistet die organisationsrechtliche Umsetzung der Einbeziehung ärztlich geleiteter Abteilungen der Einrichtungen der Behindertenhilfe in die ambulante ärztliche Behandlung geistig behinderter Menschen, wobei allerdings nicht daran gedacht ist, die ambulante vertragsärztliche Regelversorgung dieser Personen zu ersetzen, soweit sie durch niedergelassene Vertragsärzte durchgeführt wird.
2 Rechtspraxis
2.1 Rechtsanspruch auf Ermächtigung zur Teilnahme an der ambulanten Behandlung
Rz. 4
Der Gesetzestext "sind zu ermächtigen" in Satz 1 sichert den Einrichtungen der Behindertenhilfe einen Rechtsanspruch auf Teilnahme an der ambulanten ärztlichen Behandlung, wenn sie die genannten Voraussetzungen erfüllen. Das bedeutet, dass es auf die Bedarfsfrage, auf Über- oder Unterversorgung oder auf den Willen der KV oder der Krankenkassen nicht ankommt, sondern allein die Einrichtung entscheidet, ob sie einen Antrag auf Ermächtigung zur Teilnahme an der ambulanten ärztlichen Behandlung beim zuständigen Zulassungsausschuss stellt. Sie ist andererseits aber nicht verpflichtet, ihren Rechtsanspruch jetzt oder zu einem späteren Zeitpunkt wahrzunehmen. Dies hängt vielmehr von den individuellen Gegebenheiten ab, die bei der jeweiligen Einrichtung der Behindertenhilfe vorliegen. Einrichtungen der Behindertenhilfe für körperbehinderte Versicherte sind nicht tangiert, sondern ausschließlich solche Einrichtungen, die auch Menschen mit geistiger Behinderung betreuen. Dies folgt aus dem Sachzusammenhang des Satzes 1, der zum Ermächtigungsgegenstand die ärztliche Behandlung von Versicherten mit geistiger Behinderung hat.
Rz. 5
Mit ärztlicher Behandlung ist vom Umfang her die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung gemeint; die Ermächtigung zur Teilnahme an der ambulanten ärztlichen Behandlung geistig behinderter Menschen bedeutet deshalb nicht, dass die ärztliche Behandlung auf Leistungen außerhalb der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung erstreckt werden könnte. Mit der Ermächtigung ist gleichzeitig klargestellt, dass die Rechte und Pflichten der vertragsärztlichen Versorgung auch für die berechtigten Einrichtungen der Behindertenhilfe gelten.
2.2 Voraussetzungen der Ermächtigung
2.2.1 Ärztlich geleitete Abteilung
Rz. 6
Satz 1 regelt, dass die Einrichtung der Behindertenhilfe über eine ärztlich geleitete Abteilung verfügen muss, wenn sie an der ambulanten ärztlichen Behandlung von Versicherten mit geistiger Behinderung teilnehmen will. Die ärztliche Leitung muss auf Dauer und in der Funktion leitender Arzt/stellvertretender leitender Arzt gewährleistet sein. Eine ständige ärztliche Verantwortung, die keine ständige Anwesenheit eines verantwortlichen Arztes verlangt, wäre nicht ausreichend. Die in der Abteilung der Behindertenhilfe tätigen Ärzte verfügen von ihrer beruflichen Aufgabenstellung her über spezifische fachliche Kompetenzen bei der Versorgung und Betreuung geistig behinderter Menschen, welche die niedergelassenen Vertragsärzte i.d.R. mangels entsprechender Aus-, Fort- oder Weiterbildung so nicht besitzen und daher bei ihrer vertragsärztlichen Behandlung nicht anwenden können. Diese Kompetenzen, die sich in besonderen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder Kenntnissen dieser angestellten Ärzte äußern können, sind aber häufig gefragt, wenn es um die ausreichende ambulante ärztliche Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung geht. Insoweit weist Satz 4 deklaratorisch darauf hin, dass die ärztlich geleiteten Einrichtungen mit den übrigen Leistungserbringern eng zusammenarbeiten sollen. Gemeint sind damit die Leistungserbringer nach dem Vierten Kapitel SGB V. Erst die e...