Rz. 3
Nach Abs. 1 Satz 1 sollen die Pflegekassen zur Sicherstellung der körperbezogenen Pflege, der pflegerischen Betreuung sowie der Haushaltsführung i. S. d. § 36 Verträge mit einzelnen geeigneten Pflegekräften schließen, um dem Pflegebedürftigen zu helfen, ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen oder dem besonderen Wunsch des Pflegebedürftigen zur Gestaltung der Hilfe zu entsprechen. Hierbei wird seit Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz zum 1.1.2017 aus Gründen der anspruchsbegründenden Einbindung auch Demenzkranker nicht mehr zwischen körperlichen Einschränkungen einerseits sowie kognitiven und psychischen Einschränkungen andererseits differenziert. Der Gesetzgeber gibt den Pflegekassen insoweit auch außerhalb des grundlegenden Systems der Zulassung von Pflegeeinrichtungen (§ 71) durch Versorgungsvertrag gemäß § 73 ein Instrumentarium an die Hand, durch Abschluss von Verträgen mit Einzelpersonen die pflegerische und hauswirtschaftliche Versorgung im ambulanten Bereich sicherzustellen. Allerdings kommt eine vertragliche Inanspruchnahme von Einzelpersonen i. S. d. Abs. 1 nur bei der Gewährung von Sachleistungen nach § 36, nicht sonstiger Leistungen, in Betracht (Leitherer, in: KassKomm., Bd. 2, § 77 Rz. 9). Die Regelung ermöglicht es den Pflegebedürftigen, eine ihren individuellen Bedürfnissen und Vorstellungen entsprechende Versorgung zu verwirklichen. Insoweit hat der Gesetzgeber diese Rechte der Pflegebedürftigen zum 1.7.2008 durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz v. 28.5.2008 gestärkt und hieran auch im Zuge der weiteren Änderung des Abs. 1 durch das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz v. 23.10.2012 in der Sache festgehalten. Die Option des Abschlusses von Einzelverträgen ist nämlich nach der Gesetzesbegründung für die Pflegebedürftigen insbesondere dort sinnvoll, wo sich aus dem Blickwinkel der Leistungsberechtigten im Rahmen der Pflegesachleistungen deren individuell gewünschtes Leistungsspektrum auf Dauer verbessern lässt (vgl. BT-Drs. 16/7439 S. 69).
Rz. 4
Zulässig ist auch, einen Einzelvertrag mit mehreren Pflegekassen abzuschließen. Ebenso kann ein Einzelvertrag mit einer Pflegekraft nach § 77 für mehrere Pflegefälle abgeschlossen werden. Praktische Bedeutung hat diese rechtliche Möglichkeit vor allem infolge der von dem Gesetzgeber durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz v. 28.5.2008 eingeführten Regelung des § 36 Abs. 1 Satz 5 erlangt, die den Pflegebedürftigen die Möglichkeit einer gemeinsamen Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen sowie von Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung (sog. Poolen von Leistungsansprüchen) innerhalb neuer Wohnformen (z. B. Wohngemeinschaften, betreutes Wohnen) eröffnet. Die in diesem Zusammenhang für die Nutzung des Einzelvertrages als Versorgungsmöglichkeit erforderlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen hat der Gesetzgeber durch eine Lockerung der bis zur Neufassung des Abs. 1 durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz geltenden Voraussetzungen für einen Vertragsabschluss geschaffen (ähnlich Udsching, SGB XI, § 36 Rz. 8).
Rz. 5
Ihrer Rechtsnatur nach handelt es sich bei den Verträgen mit einer Einzelperson gemäß Abs. 1 nach der Rechtsprechung sowie nach der wohl auch vorherrschenden Meinung im Schrifttum um einen Leistungsbeschaffungsvertrag (BSG, Urteil v. 18.3.1999, B 3 P 9/98 R; vgl. ferner Leitherer, in: KassKomm., Sozialversicherungsrecht, Bd. 2, § 77 Rz. 5 m. w. N.). Umstritten demgegenüber ist, ob dieser Vertrag dem Zivilrecht (so u. a. Leitherer, a. a. O.) oder dem öffentlichen Recht (so u. a. Knittel, in: Krauskopf, Soziale Kranken- und Pflegeversicherung, Bd. 2, § 77 Rz. 8 mit beachtlichen Argumenten; im Ergebnis ebenso Piepenstock, in: Hauck/Noftz, SGB XI, Bd. 2, § 77 Rz. 26) zuzuordnen ist. Berücksichtigt man die Gründe, die die Rechtsprechung ohne verbindliche Festlegung tendenziell dazu veranlasst haben, einer privatrechtlichen Einordnung des Leistungsbeschaffungsvertrages unter Hinweis auf ihre eigene Rechtsprechung zum Recht der nichtärztlichen Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung (BSG, Urteil v. 10.7.1996, 3 RK 11/95) durchaus wohlwollend gegenüber zu stehen, so dürfte für solche von der Rechtsprechung angestellte Erwägungen spätestens seit der Neufassung des § 69 SGB V durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 v. 22.12.1999 (BGBl. I S. 2190) mit Wirkung zum 1.1.2000 kein Raum mehr sein (ablehnend in anderem Zusammenhang Udsching, SGB XI, § 77 Rz. 13). Mit dieser Gesetzesänderung sollte nämlich in Reaktion auf die bis dahin gegenteilige Rechtsprechung sichergestellt werden, dass Handlungen der gesetzlichen Krankenkassen und der für sie tätigen Leistungserbringer zur Erfüllung des Versorgungsauftrages gegenüber dem Versicherten nur nach öffentlichem Recht beurteilt werden (vgl. BT-Drs. 14/1245 S. 68). Den Leistungsbeschaffungsvertrag nach Abs. 1 wird man daher auch angesichts der Rechtsentwicklung im Krankenversicherungsbereich bei ve...