Rz. 5

Disease-Management-Programme (DMP) sind im Prinzip mit den Formen der integrierten Versorgung nach §§ 140a ff. vergleichbar und beeinflussen insoweit unmittelbar die traditionellen, voneinander abgeschotteten Versorgungssektoren. Die Unterschiede bestehen darin, dass sich die strukturierten Behandlungsprogramme ausschließlich auf chronisch Kranke beziehen und dass es für die Teilnahme finanzielle Zuweisungen aus dem Risikostrukturausgleich (RSA) gibt. Allerdings schließen sich DMP und integrierte Versorgung nicht gegenseitig aus. Versicherte, die sich in ein DMP eingeschrieben haben, können gleichzeitig auch an einer anderen Vertragsform im Rahmen der integrierten Versorgung teilnehmen.

Zu den Auswahlkriterien sieht Abs. 1 eine beispielhafte, aber keineswegs abschließende Aufzählung vor (vgl. "insbesondere" in Abs. 1 Satz 2), die auf die Zielsetzung und Effizienz der Behandlungsprogramme ausgerichtet bleibt. Die hohe Prävalenz wird durch die Zahl der von chronischen Krankheiten betroffenen Versicherten bestimmt, weil Behandlungsprogramme um ihres Erfolges willen grundsätzlich eine ausreichende Patientenzahl erfordern. Weiteres Auswahlkriterium ist die realistisch existierende Möglichkeit, mit Hilfe von DMP die Versorgungsqualität tatsächlich zu verbessern. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, die ohnehin kaum mögliche Heilung der chronischen Krankheit zu erreichen, sondern um die Qualität des Versorgungsablaufs und die Vermeidung der Schnittstellenproblematik, die beide dazu beitragen sollen, den Krankheitsverlauf sowie die Mortalität der betroffenen Versicherten günstig zu beeinflussen und ihr subjektives Lebensgefühl zu optimieren. Evidenzbasierte Leitlinien stellen eine wichtige Voraussetzung dafür dar, den Krankheitsverlauf auf einer abgesicherten Basis und nicht nach einem Zufallsprinzip positiv zu steuern. Verfügbar heißt, dass diese wissenschaftlich orientierten Leitlinien real existieren, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um nationale oder internationale medizinische Behandlungsleitlinien handelt. Bei dieser Recherche wird der Gemeinsame Bundesausschuss durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQIWG; vgl. § 139a) unterstützt, zu dessen Aufgaben u. a. die Abgabe von Empfehlungen zu strukturierten Behandlungsprogrammen gehört (§ 139a Abs. 3 Nr. 4). So hat der Gemeinsame Bundesausschuss am 22.5.2014 beschlossen, ein Modul Adipositas (Fettleibigkeit) nicht in die DMP-RL aufzunehmen, nachdem sich aus den Abschlussberichten des IQWG keine Empfehlungen ergeben haben, die eine modulare Erweiterung der DMP für die Adipositas unterstützen.

Die Berücksichtigung evidenzbasierter Behandlungsleitlinien sollten die teilnehmenden Vertragsärzte oder anderen Leistungserbringer nicht als Einmischung in ihren Kompetenzbereich und ihre therapeutische Freiheit verstehen. Leitlinien der ärztlichen Fachgesellschaften sind zunächst einmal keine verbindlichen Handlungsanleitungen für den Arzt (so OLG Naumburg, Urteil v. 19.12.2001, 1 U 46/01, MedR 2002 S. 471), sodass im individuellen Behandlungsfall der Arzt seine Entscheidung allein treffen muss. Andererseits stellt eine evidenzbasierte, aktuelle Leitlinie, die unter gemeinsam von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen/Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), der Bundesärztekammer, der KBV, der DKG und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen aufgestellten hohen Qualitätsanforderungen konsentiert ist, eine wichtige Informationsquelle für den medizinischen Standard (Prävention, Diagnose, Therapie, Nachsorge, Rehabilitation) dar. Der medizinische Standard (vgl. z. B. "allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse" nach § 70) bleibt aber für den behandelnden Arzt verbindlich, soweit nicht Besonderheiten des Patienten, seiner Erkrankung oder der Verabredung zwischen Arzt und Patient vorliegen. Wenn daher eine Konsensus-Leitlinie dem medizinischen Standard der Behandlung einer Krankheit entspricht, stellt sie eine medizinische Norm dar und ist für den Arzt z. B. haftungsrechtlich (§§ 276, 280, 823 BGB) verbindlich. Konsensus-Leitlinien gibt es derzeit nur sehr wenige im Gegensatz zu ärztlichen Leitlinien, von denen die ärztlichen Fachgesellschaften bisher knapp 1000 veröffentlicht haben. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat daher in seiner DMP-Richtlinie auch die Anforderungen an die Behandlung nach evidenzbasierten Leitlinien zu benennen, soweit solche Leitlinien vorhanden sind. Existieren aber (noch) keine evidenzbasierten Leitlinien, sollen die Anforderungen nach der jeweils besten, verfügbaren Evidenz unter Berücksichtigung des jeweiligen Versorgungssektors benannt werden. Diese Klarstellung ist erfolgt, nachdem die bisherige Formulierung in den Fällen zu Auslegungsschwierigkeiten geführt hatte, wenn evidenzbasierte Leitlinien nicht zur Verfügung stehen.

 

Rz. 6

Weil die Behandlung chronischer Krankheiten oft dadurch gekennzeichnet ist, dass überwiegend verschiedene Behandlungsbereiche (ambulant, stationär)...

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