Rz. 39
Abs. 2 Satz 1 stellt klar, dass die Krankenkassen für Arznei- oder Verbandmittel, für die eine Festsetzung nach §§ 35 oder 35a erfolgt, nur die Kosten bis zur Höhe des Festbetrages zu tragen haben. Für Arznei- oder Verbandmittel, für die kein Festbetrag festgesetzt worden ist, trägt die Krankenkasse die vollen Kosten, jeweils abzüglich der vom Versicherten zu leistenden Zuzahlung nach Maßgabe des Abs. 3 und der Abschläge nach den §§ 130, 130a und dem Gesetz zur Einführung von Abschlägen der pharmazeutischen Großhändler. Die Festbetragsregelung garantiert für die Versicherten im Wesentlichen eine Gleichbehandlung, indem sie die Rechtsgrundlage schafft, um typische Fällen in Gruppen zusammenzufassen. Dabei orientieren sich die Kriterien der Festbetragsfestsetzung nicht an den individuellen Verhältnissen der einzelnen Patienten, sondern in generalisierender Weise an allen Versicherten. Festbeträge sind so festzusetzen, dass sie lediglich "im Allgemeinen" eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten. Ist allerdings in einem Fall aufgrund der ungewöhnlichen Individualverhältnisse keine ausreichende Vollversorgung zum Festbetrag möglich, greift die Leistungsbeschränkung auf den Festbetrag nicht ein (atypischer Ausnahmefall, vgl. BVerfGE 106 S. 275, 309). Versicherte erhalten keine ausreichende Arzneimittelversorgung zum Festbetrag, wenn bei ihnen die zu einem Preis bis zur Höhe des Festbetrags erhältlichen Arzneimittel entsprechend der im Sozialrecht maßgeblichen Theorie der wesentlichen Bedingung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Nebenwirkungen im Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Krankheit verursachen, während ein Arzneimittel, dessen Preis den Festbetrag überschreitet, demgegenüber keine vergleichbaren Nebenwirkungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verursacht (BSG, Urteil v. 3.7.2012, B 1 KR 22/11 R Rz. 12 ff.).
Rz. 40
Sofern die Krankenkasse mit einem pharmazeutischen Unternehmen, das ein Festbetragsarzneimittel anbietet, eine Vereinbarung über zusätzliche Rabatte nach § 130a Abs. 8 abgeschlossen hat, trägt die Krankenkasse abweichend von Satz 1 den Apothekenverkaufspreis für dieses Mittel abzüglich der Zuzahlung und Abschläge nach den §§ 130, 130a Abs. 2 Satz 2 und Folgende seit der Neufassung durch das AVWG (vgl. Rz. 12a). Die Vereinbarung nach § 130a Abs. 8 ist allerdings nur zulässig, wenn hierdurch die Mehrkosten der Überschreitung des Festbetrages ausgeglichen werden (Abs. 2 Satz 3). Die Gegenfinanzierung ist ausschließlich durch Rabatte auf das betroffene Arzneimittel möglich, um die notwendige Transparenz bezüglich der Erfüllung der Vorgabe zu gewährleisten, dass die Mehrkosten durch Rabatte auszugleichen sind. Mehrkosten in diesem Sinn sind die Differenz zwischen dem Festbetrag und dem Apothekenverkaufspreis nach Abzug der Zuzahlung und Abschläge.
Rz. 41
Abs. 2 Satz 5 schließt eine Rückzahlung von Mehrkosten durch Versicherte und Apotheken an die Krankenkasse für bereits abgegebene und abgerechnete Arzneimittel für den Fall aus, dass sich im Nachhinein herausstellt, dass die Rabattvereinbarung der Krankenkasse die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ist es Aufgabe der Krankenkassen, zu gewährleisten, dass die Rabattvereinbarung den gesetzlichen Vorgaben entspricht und insbesondere eine Gegenfinanzierung der Mehrkosten sicherstellt. Es wäre unverhältnismäßig, das Risiko einer unzulässigen Rabattvereinbarung auf die Versicherten oder Apotheken abzuwälzen (so die Begründung des Ausschusses für Gesundheit, BT-Drs. 16/194 S. 7). Ferner sollen die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich die Möglichkeit erhalten, in geeigneten Fällen besonders preisgünstige Arzneimittel von der Zuzahlung freizustellen. Preisgünstige Arzneimittel können dann von der Zuzahlung befreit werden, wenn die begründete Aussicht besteht, dass dies zu einer Erhöhung des Versorgungsanteils dieser preisgünstigen Arzneimittel führt, woraus sich Einsparungen ergeben, die höher sind als der Einnahmeverlust aufgrund der Freistellung von der Zuzahlung (BT-Drs. 1/691 S. 15).