Rz. 3
Der Begriff des Fehlverhaltens im Gesundheitswesen ist weit gefasst und geht über die gesetzliche Krankenversicherung hinaus. Die Ermittlungs- und Prüfstelle bei einer KV/KZV sowie bei der KBV/KZBV ist verpflichtet, innerhalb der Zuständigkeit der jeweiligen vertrags(zahn)ärztlichen Körperschaft Fällen und Sachverhalten nachzugehen, die auf Unregelmäßigkeiten oder rechtswidrige oder zweckwidrige Nutzung von Finanzmitteln im Zusammenhang mit den Aufgaben der Vereinigung hindeuten. Abrechnungsbetrug und Korruption fügen z. B. der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung große finanzielle Schäden zu und entziehen dem Gesundheitswesen insgesamt erhebliche Finanzmittel, welche an anderen Stellen fehlen. Typische Indikatoren für "Unregelmäßigkeiten" oder die "rechts- oder zweckwidrige Nutzung von Finanzmitteln" sind z. B. in der gesetzlichen Krankenversicherung folgende Fallgruppen:
- Abrechnung nicht erbrachter oder nicht verordneter Leistungen (sog. Luftleistungen/Luftrezepte),
- Abrechnung von nicht mit der notwendigen Qualifikation erbrachten Leistungen,
- Annahme, Gewährung und/oder Vorenthaltung von Rückvergütungen ("kick-back"),
- Rezept- und/oder Verordnungsfälschungen,
- Unzulässige Zusammenarbeit von Leistungserbringern und Vertrags(zahn)ärzten, Vertragspsychotherapeuten, zugelassenen medizinischen Versorgungszentren, ermächtigten Einrichtungen,
- Missbrauch von Krankenversichertenkarten (elektronische Gesundheitskarten).
Der Aufgabenbereich geht über Betrugstatbestände weit hinaus und umfasst auch Fälle und Sachverhalte in der sog. Grauzone, wie z. B. eine überzogene Vertragsauslegung, eine Fehlinterpretation der Abrechnungsmöglichkeiten oder eine Falschanwendung vertrags(zahn)ärztlicher Rechte und Pflichten und auch Sachverhalte innerhalb einer KV/KZV, die Ausgaben als zweckwidrig oder rechtswidrig erscheinen lassen.
In der vertragszahnärztlichen Versorgung zählt ggf. auch das Rechts- und Abrechnungsverhältnis zwischen dem Vertragszahnarzt und dem zahntechnischen Labor zum Aufgabenbereich der Ermittlungs- und Prüfstelle einer KZV, weil zahntechnische Laborleistungen zu den im Gesetz genannten Finanzmitteln im Zusammenhang mit den Aufgaben der jeweiligen KZV gehören, also nicht nur als "durchlaufende Posten" angesehen werden können. So hatten z. B. einzelne Zahnärzte die in Deutschland geltenden Preise für zahntechnische Leistungen mit den Krankenkassen abgerechnet, obwohl der jeweilige Zahnersatz in Fernost zu wesentlich niedrigeren Preisen hergestellt worden war.
Nicht zum Aufgabenbereich der Prüf- und Ermittlungsstelle der vertrags(zahn)ärztlichen Selbstverwaltung gehören jedoch die Feststellung der Unwirtschaftlichkeit, der Rechtmäßigkeit und der Plausibilität der abgerechneten Behandlungs- oder Verordnungsweise. Hierfür gibt es die die spezielle Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfung nach dem Neunten Titel SGB V (vgl. §§ 106 ff.).
Rz. 4
Allerdings kann eine Ermittlungs- und Prüfstelle auch nicht über den Zuständigkeitsbereich ihrer KV/KZV hinaus ihre Ermittlungen oder Prüfungen durchführen; sie hat nicht die Kompetenz einer Staatsanwaltschaft, die z. B. überall und generell Beschlagnahmungen in Deutschland durchführen kann. Deshalb kann die Prüfstelle auch nur auf die personenbezogenen Daten zurückgreifen, die bei der KV/KZV vorhanden sind. Diese Daten müssen ihr aber für ihre Aufgabenerfüllung zur Verfügung gestellt werden und können nicht etwa unter Hinweis auf den Datenschutz verweigert werden. Sie kann zudem die Daten speichern, verändern oder nutzen, soweit dies für ihre Kontrollbefugnisse erforderlich sein sollte. Diese Datenverarbeitung ist nach Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 67c Abs. 3 SGB X ausdrücklich keine (unerlaubte) Speicherung, Veränderung oder Nutzung für andere Zwecke, weil sie für die Wahrnehmung von Kontrollbefugnissen der verantwortlichen Stelle erforderlich ist.
Mit Abs. 3a, der für die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen die Rechtsgrundlage zur Datenübermittlung darstellt, ist einem Hinweis des Bundesrechnungshofes entsprochen worden, der im Rahmen seiner Prüfungen festgestellt hatte, dass Fehlverhalten im Gesundheitswesen ohne eine Zusammenarbeit der Krankenkassen, insbesondere auch kassenartenübergreifend, und ohne eine Kooperation von Krankenkassen und KVen/KZVen oft nicht feststellbar ist. Um das Fehlverhalten der Leistungserbringer und dessen Volumen feststellen zu können, ist es auch nach Einschätzung des Bundesrechnungshofes unverzichtbar, dass die verschiedenen Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen untereinander die notwendigen personenbezogenen Daten austauschen. Da die Frage, ob der personenbezogene Datenaustausch schon nach bisher geltendem Recht zulässig war, unterschiedlich beurteilt und Datenübermittlungen nicht selten mit dem Einwand der fehlenden Rechtsgrundlage verweigert worden waren, ist mit Wirkung zum 1.1.2012 eindeutig klargestellt, dass die Stellen befugt sind, personenbezogene Daten untereinander und an die E...