Fehlverhalten im Gesundheitswesen: Es gibt noch immer viel zu tun
1,13 Milliarden Euro Gesamtschaden durch Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen – diese Summe ergibt sich aus der amtlichen polizeilichen Kriminalstatistik der letzten 20 Jahre. Um gegen solches Fehlverhalten vorzugehen, wurden 2004 die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen geschaffen. Doch es gibt noch immer viel zu tun, denn der Schaden durch nicht bekanntgewordene Fälle ist auch nach Ansicht des Bundeskriminalamtes vermutlich um ein Vielfaches größer. In Deutschland gibt es jedoch keine belastbaren kriminologischen Studien zum Dunkelfeld von kriminellem Fehlerhalten im Gesundheitswesen, während in den europäischen Nachbarländern schon lange dazu geforscht wird. Obwohl sich auch die Justizministerkonferenz 2022 einstimmig dafür ausgesprochen hat, bleibt die Bundesregierung untätig. Zu diesen und weiteren Aspekten von 20 Jahren Fehlverhaltensbekämpfung hat gestern Abend eine Diskussionsveranstaltung des GKV-Spitzenverbands stattgefunden, die heute in Form einer Fachtagung fortgeführt wird.
Spezialisierte Strafverfolgungsbehörden nötig
Ein weiteres Problem: Es gibt zu wenige Spezialeinheiten der Polizei und spezialisierte Staatsanwaltschaften, um weitreichend gegen Betrug und Korruption im Gesundheitswesen vorgehen zu können. Genau das ist aber für den Erfolg entscheidend, denn die Materie ist so komplex, dass Expertinnen und Experten auf dem Gebiet nötig sind. Hier muss auch von den Ländern weiter nachgebessert werden, damit alle 16 Bundesländer auf dem notwendigen Niveau ausgestattet sind. Wichtig ist darüber hinaus ein besserer Schutz von Hinweisgebenden. Auch nach Inkrafttreten des neuen Hinweisgeberschutzgesetzes bleiben diese weiterhin ungeschützt, wenn Sie auf erhebliche Missstände hinweisen, deren Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt.
Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender beim GKV-Spitzenverband: „Jedes Jahr gehen durch Abrechnungsbetrug und Korruption im Gesundheitswesen hohe Millionenbeträge verloren – Geld, das in dunklen Kanälen versickert, statt sinnvoll in der medizinischen Versorgung eingesetzt werden zu können. Es ist daher in unser aller Interesse, noch effektiver gegen Betrug und Korruption vorzugehen. Dafür brauchen wir endlich eine Dunkelfeldstudie als Grundlage für ein evidenzbasiertes, wirksames Konzept zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen.“
Dr. Susanne Wagenmann, Verwaltungsratsvorsitzende beim GKV-Spitzenverband: „Seit 20 Jahren bringt sich die Selbstverwaltung aktiv in die Gesetzgebung ein, um die Fehlverhaltensbekämpfungsstellen und ihre wichtige Arbeit zu stärken. Dadurch ist eine effektive kassenübergreifende Struktur zum Kampf gegen Betrug und Korruption im Gesundheitswesen entstanden. Für bessere Rahmenbedingungen muss die Politik den rechtlichen Rahmen nun weiter ausgestalten. Das heißt zum Beispiel, im Zeitalter der Digitalisierung auch den Einsatz von künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernens zur Verhinderung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen zu ermöglichen.“
Fehlverhaltensbericht: 132 Millionen Euro Schaden in 2020/2021
Der aktuelle, siebte Fehlverhaltensbericht des GKV-Spitzenverbandes beleuchtet die Jahre 2020 und 2021. Allein der ermittelbare Schaden beträgt in diesem Zeitraum rund 132 Millionen Euro, wovon weniger als die Hälfte zurückgeholt werden konnte – es bleibt also ein erheblicher Schaden für die Beitragszahlenden der gesetzlichen Krankenversicherung. Zu einem Brennpunkt hat sich der Bereich der häuslichen Krankenpflege entwickelt. Die mit Abstand höchsten Forderungen von über 14,96 Millionen Euro konnten hier gesichert werden. Erstmals sind in diesem Leistungsbereich aber auch die mit Abstand höchsten Schäden in Höhe von 29,60 Millionen Euro entstanden.
Der Bericht verzeichnet erstmals einen Rückgang verfolgter Neufälle um 17 Prozent (2020/2021: 23.341 Neufälle | 2018/2019: 28.197 Neufälle). Ebenso verringerten sich die bei den Kassen eingegangenen Hinweise auf Fehlverhalten um 6,5 Prozent (2020/2021: 39.600 Hinweise | 2018/2019: 42.350 Hinweise). Dies ist auch auf die Corona-Pandemie zurückzuführen, da in dieser Zeit unter anderem die Qualitäts- und Abrechnungsprüfungen des Medizinischen Dienstes ausgesetzt wurden. Die Pandemie hat zudem die Hinweisprüfung und die Ermittlung von Neufällen verzögert sowie die Verfahrensdauer der verfolgten Bestandsfälle verlängert.
Hintergrund
Die bei allen gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen und beim GKV-Spitzenverband seit dem Jahr 2004 eingerichteten Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen gehen gem. §§ 197a SGB V, 47a SGB XI Hinweisen nach, die auf „Unregelmäßigkeiten“ oder eine „rechtswidrige Nutzung von Finanzmitteln“ im Zusammenhang mit den Aufgaben der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung hindeuten, insbesondere Abrechnungsbetrug und Korruption. Wenn die Prüfung ergibt, dass ein Anfangsverdacht auf strafbare Handlungen mit nicht nur geringfügiger Bedeutung für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung bestehen könnte, sollen die Kranken- und Pflegekassen unverzüglich die Staatsanwaltschaft unterrichten.
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