Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 56
Abs. 6 bestimmt, dass i. S. einer einheitlichen Verfahrensweise im Bundesgebiet bzw. einer gleichmäßigen Verordnung mit Leistungen nach § 31 die Selbstverwaltungspartner auf Bundesebene, die KBV und der GKV-Spitzenverband, Rahmenvorgaben für die Inhalte der Arzneimittelvereinbarungen und für die Inhalte der Informationen und Hinweise an die Vertragsärzte nach § 73 Abs. 8 vereinbaren. Die Vereinbarung der Rahmenvorgaben für den Abschluss von regionalen Arzneimittelvereinbarungen ist verpflichtend, ein Dispositionsrecht besteht nicht. Für die Vertragspartner der regionalen Arznei- und Heilmittelvereinbarungen sind die Rahmenvorgaben der Bundesebene verpflichtend. Nach Abs. 6 Satz 3 dürfen sie nämlich von den Rahmenvorgaben nur abweichen, wenn dies durch die regionalen Versorgungsbedingungen begründet ist.
Für den einzelnen Vertragsarzt ist das Richtgrößenvolumen von besonderer Bedeutung, weil eine Überschreitung eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach sich ziehen kann. Das BSG hat im Urteil v. 23.3.2011 (B 6 KA 9/10 R) entschieden, dass eine Richtgrößenvereinbarung auch dann wirksam zustande kommt, wenn Fristen überschritten werden. Für eine gegenteilige Annahme finden sich im Gesetz keine Anhaltspunkte. In Ausnahmefällen kann die Vereinbarung rückwirkend in Kraft treten.
Kommt zwischen den Bundesvertragspartnern keine Vereinbarung über Rahmenvorgaben zustande, entscheidet das Bundesschiedsamt innerhalb des gesetzlichen Zeitfensters, welches durch den in Abs. 6 Satz 1 genannten Termin "30.9. für das jeweils folgende Kalenderjahr" geprägt wird. Dieses Zeitfenster ist schon von daher knapp bemessen, weil die auf den Rahmenvorgaben gründenden regionalen Arzneimittelvereinbarungen nach Abs. 1 Satz 2 bis 30.11. für das jeweils folgende Kalenderjahr abgeschlossen sein sollen und die Vertragsärzte nach der zitierten BSG-Rechtsprechung vor dem 1.1. des Folgejahres informiert werden müssen. Die Rahmenvorgaben beziehen sich, weil sie verfahrenstechnisch in die Arzneimittelvereinbarungen der jeweiligen KV-Ebene einfließen, ebenfalls auf das jeweils folgende Kalenderjahr. Über Rahmenvorgaben sind die Partner auf Bundesebene befugt, die von den Vertragsärzten nach § 31 veranlassten Leistungen zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen zu vergleichen und zu bewerten und dabei auch auf Unterschiede in der Versorgungsqualität und Wirtschaftlichkeit hinzuweisen. Hintergrund für diese Regelung sind bestehende erhebliche regionale Unterschiede in der Verordnungsweise, die bisher medizinisch nicht erklärt werden können. Um diese Unterschiede künftig zahlenmäßig aber insbesondere inhaltlich zu analysieren und unter den Aspekten der Versorgungsqualität (z. B. Stand der Fortbildung der verordnenden Vertragsärzte) und Wirtschaftlichkeit (z. B. Informationsstand der Vertragsärzte nach § 73 Abs. 8 über preisgünstige verordnungsfähige Leistungen) zu bewerten, scheinen nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die Partner auf Bundesebene besser geeignet als die Partner der Arzneimittelvereinbarungen. Diese Aufgabe der Bundesebene endet aber mit dem Hinweis auf die Unterschiede. Den Partnern auf KV-Ebene obliegt es dann, daraus ggf. die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen, da auf Dauer bestehende Unterschiede in der Versorgungsqualität und in der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise mit dem Gebot der gleichmäßigen Versorgung im Bundesgebiet nicht zu vereinbaren wären.
Rz. 57
Die Partner auf Bundesebene haben darüber hinaus die Pflicht, für Richtgrößenvereinbarungen nach Abs. 6 die Gliederung der Arztgruppen und das Nähere zum Fallbezug vorzugeben. Auch hierfür bedarf es eines Beschlusses, der für die Vereinbarungen auf KV-Ebene verbindlich ist. Um insoweit keine zeitliche Verzögerung beim Zustandekommen der Richtgrößenvereinbarungen eintreten zu lassen – nach Abs. 6 sollten diese bis 31.3.2002 stehen – musste der Beschluss der Partner auf Bundesebene bis 31.1.2002 gefasst werden. Im Nichteinigungsfall hätte das Bundesschiedsamt nach § 89 Abs. 1 und 4 entscheiden müssen, und zwar innerhalb eines Monats nach Fristablauf (28.2.2002). Die Frist ist von den Partnern eingehalten worden. Die Rahmenvorgaben für Richtgrößenvereinbarungen vom 31.1.2002 differenzieren 12 Arztgruppen nach Gebieten und Schwerpunkten. Die Unterscheidung ergibt sich aus der 7-stelligen Arztnummer, wobei die 1. und 2. Stelle das Regionalkennzeichen, die 3. und 4. Stelle eine Kennzeichnung der Gebiete und Schwerpunkte nach der ärztlichen Weiterbildungsordnung enthalten und die 5. bis 7. Stelle der persönlichen Identifizierung des Arztes innerhalb seiner KV dienen.
Dieses Vorgehen sichert eine einheitliche Verfahrensweise im Umgang mit Richtgrößen und den daraus resultierenden Richtgrößenvolumina.
Neben diesen Pflichtaufgaben, die nicht zur Disposition stehen, können die Partner auf Bundesebene noch Empfehlungen für die Richtgrößenvereinbarungen beschließen, die jedoch keinen verbindlichen Charakter haben.