Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 31
Beim System der Einzelleistungsvergütung erhält der Vertragsarzt/Psychotherapeut, das zugelassene medizinische Versorgungszentrum oder der Vertragszahnarzt jede einzelne Leistung vergütet, die im Bewertungsmaßstab für die ärztlichen Leistungen bzw. im Bewertungsmaßstab für die zahnärztlichen Leistungen (§ 87) enthalten und mit einer Punktzahl versehen ist. Diese Vergütungsform ist in der Theorie für den Leistungserbringer die gerechteste, weshalb sie von der ärztlichen und zahnärztlichen Berufspolitik stets angestrebt worden ist. Der Wert eines Punktes wird dabei im Voraus im Gesamtvertrag vereinbart. Die Vertragsärzte/-psychotherapeuten und -zahnärzte schätzen die reine Einzelleistungsvergütung als Berechnungsart der Gesamtvergütung deshalb hoch ein, weil es ihnen nur Vorteile bringt. Soweit die Gesamtvergütung nach Einzelleistungen bestimmt wird, ist der Betrag des Ausgabevolumens nach Satz 2 zu bestimmen (Abs. 2 Satz 7). Das bedeutet, dass die Vertragsparteien verpflichtet sind, die Höhe der Gesamtvergütung als Ausgabevolumen für die Vergütung der vertragszahnärztlichen Leistungen festzulegen (BT-Drs. 17/6906 S. 58). Mit der Neuregelung hat sich der Gesetzgeber auch versprochen, dass die Möglichkeiten, mit denen auf die Überschreitung der vereinbarten Gesamtvergütung reagiert wird, flexibilisiert werden können. Die Vertragsparteien sind bei der Vertragsgestaltung auf der Grundlage der Einzelleistungen nicht mehr verpflichtet, prospektiv Regelungen zur Vermeidung der Überschreitung des Ausgabevolumens zu treffen, sondern haben geeignete Mechanismen zu finden, um einen Ausgleich der Interessen herzustellen. Die KZV hat zu verhindern, dass es zu Überschreitungen der Gesamtvergütungen kommt.
Rz. 32
Dieses Vergütungssystem war von Mitte 1965 bis 1976 auch in der vertragsärztlichen Versorgung, zunächst in einzelnen, später in allen regionalen KV-Bereichen gängige Praxis. Die Einzelleistungsvergütung verlagert das Risiko der Krankheitshäufigkeit (Morbiditätsrisiko) ebenso auf die Krankenkassen wie das Risiko des Leistungsmengenzuwachses generell und sogar den Mengenzuwachs durch ständige Vermehrung der Zahl der Vertragsärzte. Dieses Vergütungssystem erwies sich letztlich als nicht mehr finanzierbar, weil immer neue Ärzte in die vertragsärztliche Versorgung drängten (in der Bundesrepublik werden seit Jahren Mediziner über den Bedarf hinaus ausgebildet) und weil der, auch vom Verhalten des einzelnen Vertragsarztes abhängige Bedarf an ärztlichen Einzelleistungen immer weiter anstieg, obwohl die Zahl der Krankenversicherten stagnierte oder sich leicht rückläufig entwickelte und auch Jahr für Jahr keine Krankheitsepidemien aufgetreten waren. Dem steht für den jeweiligen Vertragszeitraum von regelmäßig einem Jahr nur bedingt entgegen, dass die Versicherten älter werden, die Zahl der multimorbiden Patienten dadurch zunimmt sowie der Leistungsbedarf je multimorbiden Patienten steigt, weil sich solche Veränderungen zwar mittel- und langfristig, aber nicht kurzfristig bemerkbar machen. Der Vertrags(zahn)arzt ist zudem in der Lage, den Bedarf an vertrags(zahn)ärztlichen Leistungen selbst zu steuern, was die bei einzelnen Veränderungen des Systems stattgefundenen drastischen Leistungsausweitungen oder -reduzierungen längst bewiesen haben. Es bleibt eine Illusion anzunehmen, die Leistungsmenge würde sich generell an dem Maß ausrichten, was für den Patienten im Einzelfall medizinisch notwendig ist, weil es immer Vertrags(zahn)ärzte, medizinische Versorgungszentren gibt und geben wird, die aus finanziellen Motiven weniger oder über das medizinisch notwendige Maß hinaus Leistungen erbringen oder bewirken.
Rz. 33
Die Einzelleistungsvergütung stellt im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung in der Praxis nur dann das Mittel der Wahl dar, wenn die Inanspruchnahme bestimmter Leistungen gefördert werden soll, z. B. die Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen, um der Prävention einen höheren Stellenwert für die Gesundheit bzw. die Vermeidung von Krankheiten einzuräumen.