Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 103
Weil die Zusammenstellung der Arzneimittel durch den Gemeinsamen Bundesausschuss die Interessen der Arzneimittelhersteller einerseits und die Verpflichtung zur wirtschaftlichen Verordnungsweise andererseits tangiert, regelt Abs. 3, dass für Klagen gegen die Zusammenstellung der Arzneimittel die Vorschriften über die Anfechtungsklage entsprechend gelten und dass Klagen keine aufschiebende Wirkung entfalten. Die Zusammenstellung wird deshalb in der Praxis solange eingesetzt, bis sie ganz oder teilweise durch rechtskräftige Entscheidung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit geändert oder aufgehoben wird. Ein Vorverfahren findet nicht statt, weil zwischen dem Gemeinsamen Bundesausschuss und einem pharmazeutischen Unternehmer kein Über- oder Unterordnungsverhältnis besteht, was dazu führt, dass die Zusammenstellung ggf. direkt mit einer Klage anzufechten ist. Da die Zusammenstellung Bestandteil der Arzneimittel-Richtlinie ist, entscheidet über eine Klage im ersten Rechtszug das LSG Berlin-Brandenburg, welches nach § 29 Abs. 3 Nr. 3 SGG für Klagen gegen Entscheidungen und Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zuständig ist.
Rz. 104
Unzulässig ist dagegen eine gesonderte Klage gegen die vorgegebene Gliederung nach Indikationsgruppen oder Stoffgebieten nach Abs. 2 Satz 2, die Zusammenfassung der Arzneimittel in Gruppen nach Abs. 2 Satz 4 oder gegen sonstige Bestandteile der Zusammenstellung nach Abs. 2. Damit sichert der Gesetzgeber das Zustandekommen der Zusammenstellung der Arzneimittel rechtlich ab und überlässt dem Gemeinsamen Bundesausschuss genügend Spielraum, die Zusammenstellung so umzusetzen, dass sie für die Praxis Wirkung zeigen kann.
Zum Geltungsbereich der Arzneimittel-Richtlinie ist vorgegeben, dass die Richtlinie einschließlich ihrer Anlagen für die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte, für ärztliche Einrichtungen nach § 95, für Kassenärztliche Vereinigungen, Krankenkassen und deren Verbände sowie für Versicherte verbindlich ist. Sie gilt auch für die Versorgung mit Arzneimitteln in Einrichtungen nach § 116b (ambulante spezialfachärztliche Versorgung).
Rz. 105
§ 55a SGG enthält zwar die Möglichkeit eines Normenkontrollverfahrens, ist aber auf die Überprüfung der vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossenen Richtlinien nicht anwendbar. Es bleibt als Klagemöglichkeit die Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG; BSG, Urteil v. 10.9.2020, B 3 KR 11/19 R). Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG erfordert, wenn anders kein effektiver Rechtsschutz zu erreichen ist und dem Normbetroffenen nicht zumuten ist, die Umsetzung von Vollzugsakten abzuwarten, die Möglichkeit einer Feststellungsklage. Betroffene natürliche und juristische Personen können klagen, ohne den Vollzug der untergesetzlichen Richtlinien abzuwarten (BSG, Urteil v. 18.12.2012, B 1 KR 34/12 R). Geltend gemacht werden kann nicht nur das fehlerhafte Zustandekommen der Richtlinie, sondern auch deren fehlerhafte Anwendung (Filges, in: jurisPK-SGB V, § 92 Rz. 135). Inhalt einer Klage kann ebenfalls sein, dass sich der Betroffene gegen ein Unterlassen (BSG, Urteil v. 21.3.2012, B 6 KA 16/11 R) wendet oder sich im Wege einer defensiven Konkurrentenklage wehrt (BSG, Urteil v. 14.5.2014, B 6 KA 28/13 R).