Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 43
Durch das 2. GKV-NOG ist eingeführt worden, dass vor Erlass der Arzneimittel-Richtlinien, der Heilmittel-Richtlinien und der Richtlinien über häusliche Krankenpflege die Spitzenvertretungen der jeweiligen Leistungserbringer gegenüber dem Gemeinsamen Bundesausschuss Stellungnahmen abgeben können, damit deren Sachkenntnis und Sachverstand berücksichtigt werden. "Können" ergibt sich aus der Formulierung "Gelegenheit zur Stellungnahme", sodass zwar kein Zwang zur Abgabe der Stellungnahme besteht, andererseits der Gemeinsame Bundesausschuss den Berechtigten aber ausreichend Zeit für die Stellungnahme einräumen muss. Das Recht auf Abgabe der Stellungnahme ist daher keine bloße Alibiveranstaltung, sondern ein ernsthaftes Verfahren, die jeweilige Richtlinie fachlich einwandfrei und auch praxisgerecht zu gestalten. Das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 hat dieses Rechtsprinzip fortgesetzt, indem vor Erlass der Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztlichen Versorgung (Behandlungsrichtlinie, Richtlinie für die kieferorthopädische Behandlung – KfO-Richtlinie – und Richtlinie für Zahnersatz und Zahnkronen) die Spitzenorganisationen der Zahntechniker (Abs. 1a), vor Erlass der Richtlinien über ärztliche Betreuung bei Schwangerschaft und Mutterschaft die Berufsverbände der Hebammen und der Entbindungshelfer und die Verbände der von Hebammen geleiteten Einrichtungen auf Bundesebene (Abs. 1b) sowie vor Erlass der Hilfsmittel-Richtlinien die Bundesorganisationen der Hilfsmittellieferanten und der Hilfsmittelhersteller (Abs. 7a) Stellungnahmen abgeben können.
Rz. 44
Auch vor der Verabschiedung der Richtlinien über Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Abs. 1 Nr. 8) ist das Recht auf Stellungnahme den Organisationen der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen nach § 111, den Rehabilitationsträgern (§ 6 SGB IX) und der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation eingeräumt worden. Entsprechendes gilt für die Richtlinien zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung (Abs. 7b) und für die Richtlinien zur Versorgung von Soziotherapie (Abs. 7c), vor deren Verabschiedung den maßgeblichen Organisationen der Hospizarbeit und der Palliativversorgung sowie den Spitzenorganisationen der Pflegedienste bzw. den maßgeblichen Organisationen der Leistungserbringer der Soziotherapieversorgung das Recht zur Abgabe einer Stellungnahme zugebilligt ist.
Rz. 45
Wegen der mit Wirkung zum 29.10.2020 erfolgten Einführung des neuen Leistungsanspruchs der betroffenen Versicherten auf außerklinische Intensivpflege nach § 37c ist aufgrund des Abs. 7 Satz 1 der Vorschrift auch den in § 132i Abs. 1 Satz 1 genannten Organisationen der Leistungserbringer sowie den für die Wahrnehmung der Interessen der betroffenen Versicherten maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene die Gelegenheit zugebilligt worden, vor der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Richtlinien zur Verordnung außerklinischen Intensivpflege entsprechende Stellungnahmen abzugeben. Die Stellungnahmen sind nach Abs. 7g Satz 2 in die Entscheidung einzubeziehen. Zu den in § 132i Abs. 1 Satz 1 genannten Organisationen der Leistungserbringer gehören
- die Vereinigungen der Träger der vollstationären Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene, welche Leistungen nach § 43 SGB XI erbringen,
- die maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene für die Wahrnehmung der Interessen der Erbringer von außerklinischer Intensivpflege nach Abs. 5 Nr. 4 an den in § 37c Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 genannten Orten (Haushalt oder in der Familie des Versicherten oder an einem sonst geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, in Schulen, Kindergärten und in Werkstätten für behinderte Menschen) und
- die für die Wahrnehmung der Interessen der Pflegedienste maßgeblichen Spitzenorganisationen.
Da sich die noch zu vereinbarenden Richtlinien auf die ärztliche Verordnung der außerklinischen Intensivpflege beziehen, werden die Interessen der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärztinnen, Ärzten und nach § 108 zugelassenen Krankenhäuser von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) vertreten, die nach § 91 Satz 1 mit dem GKV-Spitzenverband den Gemeinsamen Bundesausschuss bilden.
Dieses gesetzlich definierte Recht auf Abgabe einer Stellungnahme vor Verabschiedung der jeweiligen Richtlinie rechtfertigt sich daraus, dass diese Leistungserbringer an kollektivvertraglichen Vereinbarungen zum Leistungsspektrum, zur wirtschaftlichen und qualitativ hochwertigen Leistungserbringung und zur Vergütung beteiligt und sachkundig sind. Das Anhörungsrecht der Spitzenorganisationen oder der auf Bundesebene maßgeblichen Organisationen der jeweiligen Leistungserbringer trägt außerdem bei richtiger Handhabung dazu bei, die Umsetzung der Richtlinien in die Praxis zu erleichtern. Dem Rechnung tragend hat der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung (§ 91 Abs. 3 Satz 1) festgele...