Leitsatz
1. Die Steuerermäßigung des § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG für die Beförderung von Personen im genehmigten Linienverkehr ist auch dann gegeben, wenn die Beförderung – wie bei Stadtrundfahrten – dem Freizeit- oder Tourismusverkehr dient.
2. Wurde dem Betreiber von Stadtrundfahrten von der zuständigen Verwaltungsbehörde eine straßenverkehrsrechtliche Genehmigung als Linienverkehr nach den §§ 42 oder 43 PersBefG erteilt, ist diese auch von den Finanzbehörden zu beachten, solange sie nicht nichtig ist.
3. Umfasst das Beförderungsentgelt für eine Stadtrundfahrt auch Entgelte für die Teilnahme an Führungen zu Sehenswürdigkeiten, handelt es sich um zwei selbstständige Leistungen, von denen nur die Beförderung dem ermäßigten Steuersatz unterliegt. Der auf die Führungen mit dem Regelsteuersatz zu besteuernde Anteil ist ggf. im Schätzungswege zu ermitteln.
Normenkette
§ 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG, § 2, § 42, § 43 PersBefG, Art. 12 Abs. 3 der 6. EG-RL
Sachverhalt
Stadtrundfahrten mit Bandansagen zu Sehenswürdigkeiten an der Fahrtstrecke waren der Streitpunkt. Die Fahrgäste konnten an den Haltestellen ein- und aussteigen und ggf. einen späteren Bus zur Weiterfahrt nutzen. Das – bei Abendfahrten ermäßigte – Entgelt berechtigte auch zur Teilnahme an Führungen. Z. T. lagen Linienverkehrsgenehmigungen nach § 42 PBefG (Linienverkehr mit Festlegung von Linie, Haltestellen, Abfahrtzeiten sowie Entgelt), z.T. nach § 43 PBefG (Festlegung nur der Linie) vor. Das FG bestätigte den Anspruch auf den ermäßigten Steuersatz für Personenbeförderungen (Sächsisches FG, Urteil vom 3.3.2010, 8 K 1902/09, Haufe-Index 2563624, EFG 2011, 1374).
Entscheidung
Die Revision des FA führte zur Zurückverweisung an das FG.
1. Der BFH teilte nicht die Auffassung des FA, die Genehmigungen als "Linienverkehr" seien unbeachtlich. Auch Gerichte sind an den Inhalt einer Genehmigung gebunden, deren Rechtmäßigkeit – wegen der unterschiedlichen Rechtswegzuständigkeit – nur ein anderer Gerichtszweig überprüfen kann. Lediglich Verwaltungsakte, die nichtig sind, sind unbeachtlich. Dass materielles oder Verfahrensrecht unzutreffend angewandt worden ist, reicht dafür nicht aus.
2. Der Beurteilung als Beförderungsleistung stehe nicht entgegen, dass diese touristischen Zwecken diente. Die Bandansagen seien nur Nebenleistungen zur Beförderung. Die Möglichkeit zur Unterbrechung der Fahrt sei für die Beurteilung als Beförderung unerheblich.
3. Zwei getrennt zu beurteilende Leistungen lägen jedoch vor, wenn – vom FG nicht festgestellt – die Leistungen der Klägerin zusätzlich zur Beförderung auch die Berechtigung zur Teilnahme an nicht ermäßigt zu besteuernden entgeltlichen Führungen enthielten.
Hinweis
1.§ 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG ermäßigt – enger als das Unionsrecht – nur Kurzstreckenbeförderungen; aber auch eine selektive Anwendung der Ermächtigung zur Einführung eines ermäßigten Steuersatzes (weniger als erlaubt) ist zulässig.
2. Nr. 10 erlaubt die Ermäßigung für die Beförderung von Personen "im genehmigten Linienverkehr". Maßgeblich ist daher die verkehrsrechtliche Qualifizierung. Linienverkehr ist "eine zwischen bestimmten Ausgangs- und Endpunkten eingerichtete regelmäßige Verkehrsverbindung, auf der Fahrgäste an bestimmten Haltestellen ein- und aussteigen können" (§ 42 PBefG). Linienverkehr nach § 43 PBefG ist „unabhängig davon, wer den Ablauf der Fahrten bestimmt, auch der Verkehr für die regelmäßige Beförderung von Berufstätigen und Schülern zur Arbeitsstelle bzw. Schule sowie von Besuchern von Theatern und Märkten. Unerheblich ist, dass andere Fahrgäste nicht zusteigen dürfen und "der Ablauf der Fahrten wechselnden Bedürfnissen der Beteiligten angepasst wird". Weder das nationale noch das Unionsrecht ergeben danach einen Anhaltspunkt für einen Ausschluss von "Beförderungen, die zu touristischen oder Vergnügungszwecken" angeboten werden. Das wird unabhängig vom Beförderungsmittel für die in § 12 Abs. 2 Nr. 10 beschriebenen Beförderungen gelten.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 30.6.2011 – V R 44/10