Die deutsche Organschaftsregelung ist unionsrechtskonform: Der BFH folgt in seinen Entscheidungsgründen dem EuGH. Die deutsche Organschaftsregelung wonach nicht die Mehrwertsteuergruppe selbst, sondern der Organträger Steuerschuldner für die Umsätze der Organschaft ist, steht im Einklang mit dem Unionsrecht. Die vom EuGH hierfür genannten Bedingungen, dass (i) der Organträger bei der Organgesellschaft seinen Willen durchsetzen kann und (ii) es durch die Bestimmung des Organträgers zum einzigen Steuerpflichtigen nicht zur Gefahr von Steuerverlusten kommt, ist durch (a) die nationale Eingliederungsvoraussetzung gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sowie (b) durch die Ausfallhaftung gem. § 73 AO sichergestellt.
Änderung der Rechtsprechung bzgl. finanzieller Eingliederung: Grundsätzlich erfordert die finanzielle Eingliederung weiterhin, dass der Organträger über die Mehrheit der Stimmrechte verfügt. Eine Sperrminorität (von z.B. 50 % der Stimmrechte) reicht danach nicht aus. Sofern eine qualifizierte Mehrheit für Beschlüsse in der Organgesellschaft erforderlich ist, bedarf es eine entsprechende Mehrheit. In der Praxis ist daher grundsätzlich weiterhin in einem zweistufigen Verfahren zu prüfen, ob die Stimmrechte von der kapitalmäßigen Beteiligung abweichen und welche Stimmrechtsmehrheit erforderlich ist. Nach einer jüngst veröffentlichten Entscheidung des FG Münster ist unschädlich, wenn für bestimmte Beschlüsse (z.B. Änderung des Gesellschaftsvertrags, die Auflösung der Gesellschaft, den Ausschluss eines Gesellschafters und die Änderung des Gewinnverteilungsschlüssels) das Einstimmigkeitsprinzip gilt.
Nach abgestimmter Rechtsprechungsänderung des 5. und 11. Senats liegt eine finanzielle Eingliederung aber auch dann vor, wenn die erforderliche Willensdurchsetzung dadurch gesichert ist, dass der Gesellschafter zwar über nur 50 % der Stimmrechte verfügt, er aber eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt, so dass die schwächer ausgeprägte finanzielle Eingliederung in dieser Weise durch eine besonders stark ausgeprägte organisatorische Eingliederung ausgeglichen wird.
Anmerkung zur Rechtsprechungsänderung: Nach den Urteilen des EuGH ist fraglich, ob es der Rechtsprechungsänderung bedurfte. Denn für die Unionsrechtskonformität der deutschen Organschaftsregelung war die Willensdurchsetzung für den EuGH entscheidungserheblich. Auf der anderen Seite ist nach nationaler Auslegung nicht erforderlich, dass der Organträger zusätzlich zur kapitalmäßigen Beteiligung über die Stimmrechte verfügen muss, so dass die Aussagen des EuGH ohne Relevanz waren. Der BFH hat für einen Sonderfall nun seine Rechtsprechung geändert. In den Worten von RiBFH Treiber liegt eine minimalinvasive Rechtsprechungsmodifizierung vor. Abgesehen von diesem Sonderfall bleibt jedoch alles beim Alten. Eine reine kapitalmäßige Mehrheitsbeteiligung ist nicht ausreichend. Der Handlungsbedarf in der Praxis ist daher sehr begrenzt. Eine Organschaft zwischen Schwestergesellschaften ist – ohne Einbeziehung des gemeinsamen Gesellschafters als Organträger – weiterhin nicht möglich.
Hinweis zum BFH-Urt. zur Personenhandelsgesellschaft: An dieser Stelle ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass es nun auch eine erste Entscheidung des BFH gibt, die sich mit dem EuGH-Urt. in der Rechtssache Finanzamt für Körperschaften Berlin zur Behandlung einer Personenhandelsgesellschaft mit einer "kapitalistischen Struktur" als Organgesellschaft auseinandersetzt. Danach kann eine GmbH & Co. KG (bzw. AG & Co. KG, SE & Co. KG, BV & Co. KG, usw.) Organgesellschaft sein – in diesen Fällen liegt eine kapitalistische Struktur vor –, wenn neben dem Organträger Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft auch Personen sind, die in das Unternehmen des Organträgers nicht finanziell eingegliedert sind (Aufgabe des BFH-Urt. v. 2.12.2015 – V R 25/13, BStBl. II 2017, 547; zur Übertragung auf eine oHG s.: Wäger, UR 2017, 664, 669). Im Streitfall verfügte der Kommanditist über die Mehrheit der Stimmrechte. Hierzu ist ein weiteres Verfahren zu einer KG mit einem Komplementär, der zu 97 % am Kapital der KG beteiligt war und die Gesellschafterbeschlüsse der KG mit einfacher Mehrheit beschließen konnte, beim BFH anhängig (BFH-Az. V R 8/22).
Innenumsätze: Dass der 5. BFH-Senat dem EuGH nun nach den mehrdeutigen Urteilsbegründungen in den Rechtssachen Norddeutsche Diakonie und Finanzamt T nun noch zur Vorabentscheidung die umsatzsteuerliche Behandlung der Innenumsätze vorlegt (EuGH-Az. C-184/23 – Finanzamt T II), ist folgerichtig. Denn ein Blick ins Ausland genügt, dass diesbezüglich nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Mitgliedstaaten eine Unklarheit besteht.
Blick ins Ausland: In Spanien z.B. wird die Mehrwertsteuergruppe als rein administratives Instrument verstanden. D.h. eine Mehrwertsteuergruppe ermöglicht in Spanien vorranging nur die Verrechnungsmöglichkeit von Umsatzsteuerzahlungen de...