Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 35
Aus dem Wortlaut des § 199 BewG kann abgeleitet werden, dass das vereinfachte Ertragswertverfahren nur anwendbar ist, wenn sich die Wertermittlung grundsätzlich nach einem Ertragswertverfahren richtet. Denn die Möglichkeit des vereinfachten Ertragswertverfahrens kann nach § 199 Abs. 1 BewG (nur) angewandt werden, wenn der gemeine Wert von Anteilen unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten zu ermitteln ist. Demzufolge scheidet das vereinfachte Ertragswertverfahren aus, wenn sich die Ermittlung des gemeinen Werts nach einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode richtet. Das bedeutet, sofern branchentypisch ertragsorientierte Verfahren ausgeschlossen sind, kann das vereinfachte Ertragswertverfahren nicht angewendet werden. Hierbei kann es sich insbesondere um so genannte Multiplikatorenverfahren oder Substanzwertverfahren handeln.
Rz. 36
Insbesondere bei freiberuflichen Praxen werden zur Ermittlung des gemeinen Werts Multiplikatorenverfahren angewandt. Die maßgebenden Multiplikatoren sind dabei beispielsweise auf den Jahresumsatz anzuwenden.
Rz. 37
Beispiel
Der Wert einer Steuerberatungspraxis wird in der Praxis teilweise durch Multiplikation des Jahresumsatzes mit einem Faktor ermittelt. Der Faktor liegt i.A. zwischen 0,8 und 1,2.
Rz. 38
Es ist verständlich, dass auch innerhalb eines branchenüblichen Verfahrens gerade die richtige Bestimmung des Faktors einen entscheidenden Einfluss auf die Höhe des gemeinen Werts einer Steuerberatungspraxis hat. Dies wirft die Frage auf, wie der zutreffende Faktor ermittelt werden kann. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht kann durchaus die Auffassung vertreten werden, dass die Ermittlung des für das zu bewertende Unternehmen maßgebenden Multiplikators nur dann zu einer belastbaren Aussage führen kann, wenn das Unternehmen zuvor unter ertragswertorientierten Gesichtspunkten bewertet worden ist. In diesem Fall würde das Multiplikatorenverfahren jedoch – aus steuerrechtlicher Sicht – nicht als eigenständige und vorrangige Wertermittlungsmethode anzusehen sein. Vielmehr würde dem Multiplikatorenverfahren lediglich die Funktion zukommen, den gemeinen Wert, der in einem Ertragswertverfahren berechnet worden ist, der Höhe nach zu verifizieren.
Rz. 39
Bei dieser funktionellen Sicht könnte dem Multiplikatorenverfahren m.E. keine gegenüber der ertragswertorientierten Bewertung vorrangige Bedeutung beigemessen werden. Damit ergibt sich ein Widerspruch zur Verwaltungsauffassung, die den Vorrang des Multiplikatorenverfahrens favorisiert. Es ergibt sich ebenfalls ein Spannungsverhältnis zu dem tatsächlich praktizierten Verfahren zur Wertfindung, bei dem das Multiplikatorenverfahren keineswegs nur zur Verifizierung eines in einem Ertragswertverfahren gefundenen Werts herangezogen wird, sondern als maßgebendes Bewertungsverfahren angewandt wird. Im Ergebnis dürfte es dennoch – zumindest in Einzelfällen – aus betriebswirtschaftlicher Sicht überzogen erscheinen, einem Multiplikatorenverfahren die Funktion als allein ausschlaggebendes Verfahren beizumessen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich auch in der Praxis keine klaren und scharf abgegrenzten Regelungen finden dürften, ob und wann ein Multiplikatorenverfahren die Anwendbarkeit einer ertragsorientierten Bewertungsmethode ausschließt. Zudem darf nicht übersehen werden, dass sich die Multiplikatoren ohnehin häufig auf einen ertragsabhängigen Faktor beziehen wird und sich insoweit eine Abgrenzungsschwierigkeit zwischen den Begriffen "Multiplikatorenverfahren" und "ertragswertorientiertes Verfahren" ergibt.
Rz. 40
Aus R B 11.2 Abs. 2 Satz 3 ErbStR 2011 ergibt sich ein Hinweis, in welchen Fällen davon ausgegangen werden kann, dass sich ein Erwerber bei der Bemessung des Kaufpreises nicht ausschließlich an ertragswert- oder zahlungsstromorientierten Verfahren orientiert. Danach können sich Anhaltspunkte für die Bemessung des Kaufpreises nach anderen üblichen Methoden insbesondere aus branchenspezifischen Verlautbarungen ergeben, die beispielsweise bei Kammerberufen aus Veröffentlichungen der Kammern hervorgehen. Auch diese Auffassung der Finanzverwaltung zeigt, dass kaum eine klare und scharfe Abgrenzung der Ertragswertverfahren von anderen üblichen Methoden in der Praxis gezogen werden kann.
Rz. 41
Im Übrigen muss m.E. die Annahme, dass ein Multiplikatorenverfahren zur Bestimmung des gemeinen Werts einer freiberuflichen Praxis aus betriebswirtschaftlicher Sicht schon allein deshalb als zutreffendes und vorrangiges Verfahren zur Ermittlung des gemeinen Werts anzusehen ist, weil es in der Praxis häufig angewandt wird, mehr als zweifelhaft erscheinen.
Rz. 42
Insofern ergibt sich aus R B 199.1 Abs. 1 Satz 3 ErbStR 2011 eine wichtige Relativierung der Vorrangigkeit von Multiplikatorenverfahren gegenüber dem vereinfachten Ertragswertverfahren. Danach ist eine Be...