Rz. 142

[Autor/Stand] Probleme bereiten in der Praxis die Fälle, in denen ein bebautes Grundstück, das im Ertragswertverfahren zu bewerten ist, mit einem Nutzungsrecht, z.B. mit einem Nießbrauch, belastet ist. Zwar ist unstreitig, dass das Nutzungsrecht bei der Ermittlung des Ertragswerts nach § 146 Abs. 2 bis 5 BewG nicht berücksichtigt werden kann, da es für den Ansatz der Jahresnettokaltmiete nicht darauf ankommt, ob die Miete dem Grundstückseigentümer oder dem Nießbraucher zuzurechnen ist. Allerdings kann die Frage des Abzugs von Nutzungsrechten dann bedeutsam sein, wenn der Steuerpflichtige von der Möglichkeit Gebrauch macht, einen niedrigeren Verkehrswert als den Ertragswert nach § 146 Abs. 7 BewG a.F. nachzuweisen. Dabei dürfte es unstreitig sein, dass der in § 146 Abs. 7 BewG a.F. genannte gemeine Wert dem Verkehrswert nach den Vorschriften des öffentlichen Baurechts[2] entspricht.[3] Dies gilt allerdings nur insoweit, als die zu bewertende wirtschaftliche Einheit, für die der Ertragswert nach § 146 Abs. 2 bis 5 BewG zu ermitteln ist, mit der wirtschaftlichen Einheit übereinstimmt, für die der Nachweis eines niedrigeren Verkehrswerts geführt wird. Daraus ergibt sich die im Schrifttum äußerst kontrovers diskutierte Frage, ob dingliche Nutzungsrechte, die nach den Vorschriften der Wertermittlungsverordnung[4] bei der Ermittlung von Verkehrswerten stets wertmindernd zu berücksichtigen sind, auch den in § 146 Abs. 7 BewG a.F. genannten gemeinen Wert beeinflussen dürfen.

 

Rz. 143

[Autor/Stand] Anfänglich hatte die Finanzverwaltung hierzu die Auffassung vertreten, dass Nießbrauchsrechte erst im Rahmen der Erbschaftsteuerfestsetzung zu berücksichtigen sind und daher bei der Grundstücksbewertung dem nachgewiesenen Verkehrswert hinzugerechnet werden müssen. Wurde der niedrigere gemeine Wert i.S.d. § 146 Abs. 7 BewG durch einen stichtagsnahen Kaufpreis nachgewiesen und war die Nießbrauchsbelastung im Kaufvertrag nicht offen ausgewiesen, bestanden von Seiten der Finanzverwaltung keine Bedenken, den Kaufpreis als nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert anzuerkennen, wenn der Steuerpflichtige gegenüber dem Finanzamt unwiderruflich erklärte, dass er auf einen zusätzlichen Abzug der Nießbrauchslast bei der Erbschaftsteuer verzichten würde. Wurde diese Erklärung nicht abgegeben, war der Kaufpreis nicht als Verkehrswertnachweis anzuerkennen.[6]

 

Rz. 144

[Autor/Stand] Im Schrifttum[8] wurde die o.a. Erlassregelung als nicht gesetzeskonform kritisiert. Begründet wurde dies damit, dass der in § 146 Abs. 7 BewG a.F. genannte gemeine Wert dem Verkehrswert i.S.d. § 195 BauGB entspräche, bei dessen Ermittlung Nutzungsrechte wertmindernd zu berücksichtigen seien.[9] Daher dürfe dem durch Gutachten nachgewiesenen Verkehrswert der Kapitalwert des Nutzungsrechts nicht hinzugerechnet werden.

 

Rz. 145

[Autor/Stand] Die Finanzverwaltung hat daraufhin in Abstimmung auf Bundes- und Länderebene ihre bisherigen Erlasse zur Grundstücksbewertung unter Berücksichtigung von Nießbrauchsrechten aufgehoben und stattdessen folgende Regelung getroffen[11]:

"Die Begriffe gemeiner Wert i.S.d. § 9 BewG und Verkehrswert i.S.d. § 195 BauGB sind identisch, ihre Anwendung kann deshalb nur zu einheitlichen Werten führen. Ist bei der Ermittlung des Verkehrswerts ein Nutzungsrecht wertmindernd (vgl. Nr. 5.3 der Wertermittlungs-Richtlinie 1991/1996) berücksichtigt worden, kann sich der Wert des Nutzungsrechts auch nur wertmindernd auf den gemeinen Wert auswirken. Der in einem Verkehrswertgutachten ausgewiesene Verkehrswert ist dann als gemeiner Wert zu übernehmen, eine Erhöhung des Verkehrswerts um den für das Nutzungsrecht ermittelten Wert kommt nicht in Betracht. Entsprechendes gilt für einen nachgewiesenen stichtagsnahen Kaufpreis (R 163, 177 ErbStR). Aus diesem Grund ist der nach § 145 Abs. 3 Satz 3 oder § 146 Abs. 7 BewG als gemeiner Wert nachgewiesene niedrigere Verkehrswert bzw. Kaufpreis auch dann als Bedarfswert festzustellen, wenn er wegen Grundstücksbelastungen durch Nutzungsrechte gemindert ist."

 

Beispiel 1

Es soll ein Grundstück übertragen werden, das mit einem Wohnrecht zugunsten einer dritten Person belastet ist. Der Ertragswert (§ 146 Abs. 2 bis 6 BewG) für dieses Grundstück beträgt 190 000 EUR. Nach einem Verkehrswertgutachten ergibt sich für das Grundstück ein Verkehrswert von 160 000 EUR, wobei das Wohnrecht mit 20 000 EUR wertmindernd berücksichtigt wurde.

Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist für das Grundstück auf Grund des § 146 Abs. 7 BewG ein Verkehrswert von 160 000 EUR anzusetzen. Dieser Verkehrswert ist nicht um den Wert des Wohnrechts von 20 000 EUR zu erhöhen.

 

Beispiel 2

Ein Grundstück, das mit einem Wohnrecht zugunsten einer dritten Person belastet ist, soll durch den Alleinerben innerhalb eines Jahres nach dem Erbanfall veräußert werden. Im Rahmen der Kaufverhandlungen wurde die Übernahme des Wohnrechts mindernd bei der Ermittlung des Kaufpreises berücksichtigt. Der Kaufpreis betrug 320 000 EUR, die Wertminderung auf Grund des ...

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