Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
a) Grundlagen der Verkehrswertermittlung
Rz. 19
Die Öffnungsklausel des § 198 Abs. 1 BewG enthält den ausdrücklichen Hinweis, dass für den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts grundsätzlich die auf Grund des § 199 Abs. 1 BauGB erlassenen Vorschriften gelten.
Rz. 20
§ 199 Abs. 1 BauGB hat folgenden Wortlaut:
"Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung Vorschriften über die Anwendung gleicher Grundsätze bei der Ermittlung der Verkehrswerte und bei der Ableitung der für die Wertermittlung erforderlichen Daten einschließlich der Bodenrichtwerte zu erlassen."
Rz. 21
Mit diesem Verweis auf das Baugesetzbuch soll sichergestellt werden, dass der Steuerpflichtige im Wege des Nachweises des niedrigeren gemeinen Werts auf der Grundlage der Immobilienwertermittlungsverordnung vom 14.7.2021 die Möglichkeit erhält, sämtliche wertbeeinflussende Umstände bei der Ermittlung des gemeinen Werts geltend zu machen.
Mit der ImmoWertV 2021 vom 14.7.2021 wurden die bisherige ImmoWertV 2010 vom 19.5.2010 durch eine vollständig überarbeitete Immobilienwertermittlungsverordnung und ergänzende Anwendungshinweise abgelöst. Ebenso wurden folgende zur ImmoWertV 2010 vom 19.5.2010 ergangenen Richtlinien, die lediglich Empfehlungscharakter hatten, durch die neue ImmoWertV 2021 vom 14.7.2021 gegenstandslos:
- Richtlinie zur Ermittlung von Bodenrichtwerten
- Richtlinie zur Ermittlung des Sachwerts
- Richtlinie zur Ermittlung des Vergleichswerts und des Bodenwerts
- Richtlinie zur Ermittlung des Ertragswerts
- Wertermittlungsrichtlinien 2006, soweit sie nicht bereits durch die zuvor genannten Richtlinien ersetzt worden sind.
Somit sind auch die zuvor geltende Wertermittlungsverordnung (WertV) und die hierzu ergangenen ergänzenden Regelungen in den Wertermittlungsrichtlinien 2006 (WertR 2006) durch die vollständig neu konzipierte ImmoWertV 2021 vom 14.7.2021 obsolet, wobei die wesentlichen Grundsätze der bisherigen Richtlinien integriert wurden. Inhaltliche Änderungen sind gegenüber der bisherigen Rechtslage nur in beschränktem Umfang vorgenommen worden.
Über die ImmoWertV 2021 vom 14.7.2021 hinaus sind weitergehende Hinweise, die keinen Regelungscharakter haben, aber zum Verständnis der ImmoWertV beitragen, erarbeitet worden. Die sog. Muster-Anwendungshinweise zur ImmoWertV vom 5.10.2023 wurden vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen vorgelegt und am 20.9.2023 von der Fachkommission Städtebau zur Kenntnis genommen.
b) Anwendungszeitpunkt der ImmoWertV
Rz. 21.1
Die ImmoWertV 2021 vom 14.7.2021 ist am 1.1.2022 in Kraft getreten. In der Praxis stellt sich die Frage, ob Sachverständigengutachten, mit denen der Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts für Bewertungsstichtage vor dem 1.1.2022 geführt werden soll, noch nach der bisher geltenden ImmoWertV 2010 v. 19.5.2010 oder bereits nach der ImmoWertV 2021 vom 14.7.2021 erfolgen müssen. Sachverständigengutachten, die ab dem 1.1.2022 erstellt werden, müssen sich nach der ab diesem Zeitpunkt geltenden ImmoWertV richten. Wenn man davon ausgeht, dass die neue ImmoWertV in erster Linie die bisherigen Methoden der Ermittlung des gemeinen Werts verbessern soll, erscheint es nicht plausibel, in einem nach dem 1.1.2022 erstellten Gutachten veraltete Regelungen zu verwenden. Das gilt auch dann, wenn ein Bewertungsstichtag vor dem 1.1.2022 betroffen ist.
Somit ist es hinsichtlich des Anwendungszeitpunkts der ImmoWertV 2021 vom 14.7.2021 nicht maßgebend, ob der Wertermittlungsstichtag vor oder nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens liegt. Vielmehr ist der Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens entscheidend. Der Wertermittlungsstichtag gibt lediglich die Bezüge für den Stichtag der Marktverhältnisse beziehungsweise für den Zustand des Grundstücks an. Dagegen lassen sich aus dem Bewertungsstichtag nicht die rechtlichen Rahmenbedingungen für die zutreffende Erstellung des Sachverständigengutachtens ableiten. Da seit dem 1.1.2022 für die Wertermittlung ausschließlich die ImmoWertV 2021 vom 14.7.2021 gilt, kann ein Gutachten nach diesem Stichtag nicht mehr nach der überholten ImmoWertV 2010 erstellt werden.
c) Übergangsphase
Rz. 21.2
Dennoch wäre es praktikabel, wenn die Finanzämter hinsichtlich der Anwendung ImmoWertV 2021 vom 14.7.2021 in einer Übergangszeit keine überzogenen Anforderungen an ein Sachverständigengutachten stellen. Sachverständige, die den Auftrag für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens bereits vor Inkrafttreten der ImmoWertV 2021 vom 14.7.2021 angenommen haben, werden das Gutachten möglicherweise erst nach Inkrafttreten der ImmoWertV 2021 fertig gestellt haben, obwohl mit den Arbeiten bereits vor dem Inkrafttreten begonnen wurde. In diesen Fällen wäre es nicht sachgerecht, wenn das Finanzamt das vorgelegte Sachverständigengutachten allein mit dem Hinweis auf die unzulässige Anwend...