Rz. 8
Nach der Konzeption des Gesetzes ist das Ertragswertverfahren – ebenso wie das Sachwertverfahren – eine typisierte Methode zur Ermittlung des gemeinen Werts bebauter Grundstücke. Entsprechend ist in der Begründung zum Entwurfdes BewÄndG ausgeführt, Aufgabe der Hauptfeststellung der Einheitswerte sei vor allem, unter Vermeidung bisheriger Mängel gesetzliche Normen zu schaffen, die geeignet sind, gleichmäßige, den Verkehrswerten nahe kommende Einheitswerte als Grundlage für eine gerechte Besteuerung zu finden. Wörtlich heißt es:
"Der Schätzungsausschuß ist bei der Untersuchung von 1330 Grundstücken zu dem Ergebnis gekommen, daß der gegenwärtige Verkehrswert eines bebauten Grundstücks am besten, einfachsten und zweckmäßigsten nach dem Ertragswertverfahren ermittelt werden kann. Er befindet sich damit im Einklang mit der im Schrifttum auf dem Gebiet der modernen Schätzungslehre vertretenen Auffassung sowie den in der Schätzungspraxis geübten Gepflogenheiten."
Entgegen den Absichten des Gesetzgebers weichen jedoch nach den tatsächlichen Erfahrungen bei der Hauptfeststellung zum 1.1.1964 die im Wege des Ertragswertverfahrens festgestellten Einheitswerte so erheblich von den Verkehrswerten zum 1.1.1964 ab, dass der Verkehrswert (gemeiner Wert) als Bewertungsmaßstab insoweit zur bloßen Fiktion geworden ist. Für die einzelnen Grundstücksarten galt dies in unterschiedlichem Umfang und mit breiter Streuung. Gleichwohl können weder Steuerpflichtige noch Finanzverwaltung die im Wege des Ertragswertverfahrens ermittelten Grundstückswerte erfolgreich mit der Begründung in Frage stellen, der festgestellte Einheitswert entspreche nicht dem gemeinen Wert (Verkehrswert). Denn die §§ 78–82 BewG regeln – soweit kein Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung vorliegt – abschließend, wie der Grundstückswert im Ertragswertverfahren zu ermitteln ist. In Übereinstimmung hiermit hat der BFH entschieden, es verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz des GG, dass sich aufgrund des typisierenden und pauschalierenden Ertragswertverfahrens größere Ungleichmäßigkeiten im Wertniveau ergeben können, als sie bei individueller Wertermittlung aufzutreten pflegen. S. auch Anm. 9.
Rz. 9
Eine andere Frage ist allerdings, ob es mit dem Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu vereinbaren ist, dass die Grundstückswerte trotz Kenntnis der erheblichen Abweichung der festgestellten Einheitswerte von den Verkehrswerten weiterhin im Ertragswertverfahren, und zwar nach den Wertverhältnissen vom 1.1.1964, ermittelt und auch heute noch bei der Grundsteuer zugrunde gelegt werden. Dies gilt insbesondere auch wegen der Wertverzerrungen zwischen den einzelnen Grundstücksarten. Insoweit ist die Regelung des Art. 2 Abs. 1 Satz 3 des BewÄndG 1965 v. 13.8.1965 idF v. 22.7.1970 von Bedeutung, wonach der Zeitpunkt für eine neue Hauptfeststellung der Einheitswerte durch besonderes Gesetz bestimmt wird. Durch diese Vorschrift ist die Durchführung einer weiteren auf die Hauptfeststellung 1964 folgenden Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes auf unbestimmte Zeit verschoben.
Es stellt sich die Frage, ob die fortbestehende Untätigkeit des Gesetzgebers und deren Auswirkungen infolge unterschiedlicher Belastung der Steuerpflichtigen durch die einheitswertabhängigen Steuern noch mit Art. 3 GG vereinbar ist. Eine neue Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes ist mE wegen der seit 1964 eingetretenen Entwicklung der Wertverhältnisse auf dem Grundstücks- und Mietenmarkt längst zwingend geboten. Hiervon geht auch die Rechtsprechung des BFH aus. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dagegen nicht mehr mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Einheitsbewertung des Grundbesitzes verfassungsmäßig ist, sondern nur entschieden, dass es jedenfalls mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit die im Sachwertverfahren zu ermittelnden Einheitswerte von Einfamilienhäusern über dem Wertniveau der Einfamilienhäuser liegen, die im Ertragswertverfahren zu bewerten sind. Zur Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung s. insbesondere Anm. 28 f.
Die Auffassung von Schmidt, die gegenläufige Bewegung der Verkehrswerte für bebaute Grundstücke seit Ende der 70er Jahre könnte eine neue Hauptfeststellung überflüssig machen, sofern die Wertzahlen der VO zu § 90 überarbeitet würden, wird bereits wegen der Wertverzerrungen innerhalb des Grundbesitzes nicht geteilt (s. auch Anm. 26). Eine Änderung der Wertzahlen der VO zu § 90 BewG verstieße im Übrigen wohl auch gegen § 27 BewG. ME ist eine Besteuerungswillkür im Bereich der einheitswertabhängigen Steuern nicht auszuschließen, wenn sich der Gesetzgeber seit nunmehr über 40 Jahren über die ursprüngliche Absicht hinwegsetzt, Hauptfeststellungen in Zeitabständen von sechs Jahren durchzuführen.