Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 27
Die Finanzverwaltung hat mit gl. lt. Erl. v. 9.9.2022 die Regelungen zur Bewertung von Kapitalforderungen und Kapitalschulden sowie von Ansprüchen/Lasten bei wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen nach dem 31. Dezember 2009 für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer aktualisiert. Dabei hat die Finanzverwaltung in Rz.. 38 und 42 auch zu Besonderheiten Stellung genommen, die bei Nutzungsrechten an Grundstücken im Rahmen des Nachweises des niedrigeren gemeinen Werts nach § 198 BewG auftreten können.
Die gl. lt. Erl. v. 9.9.2022 führen zunächst aus, dass nach § 198 BewG für Grundstücke der niedrigere gemeine Wert nachgewiesen werden kann. Darin sind die Belastungen durch ein dinglich gesichertes Nutzungsrecht bereits wertmindernd zu berücksichtigen. Wird ein derart bewertetes Grundstück unter Vorbehalt des Nießbrauchs oder eines Wohnrechts bzw. mit der Auflage der Einräumung eines Nutzungsrechtes für einen Dritten unentgeltlich übertragen, ist die Verpflichtung aus dem Nutzungsrecht gemäß § 10 Abs. 6 Satz 11 ErbStG bei der Besteuerung des Erwerbs des Grundstücks nicht mehr abzugsfähig. Einer eigenständigen Bewertung des Nutzungsrechts im Rahmen des Erwerbs des Grundstücks bedarf es deshalb nicht.
Für die Besteuerung eines Zuwendungsnießbrauchs oder der Zuwendung eines Wohnrechts an einem Grundstück ist die Bewertung des Nutzungsrechts auch dann vorzunehmen, wenn für das Grundstück ein niedrigerer gemeiner Wert nach § 198 BewG nachgewiesen wird.
Rz. 28
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie das Spannungsfeld des Nachweises eines niedrigeren gemeinen Werts zur Begrenzung des Jahreswerts von Nutzungen nach § 16 BewG aufgelöst werden kann. Bei der Ermittlung des Kapitalwerts darf der Jahreswert der Nutzungen nach § 16 BewG höchstens mit dem Wert angesetzt werden, der sich ergibt, wenn der für das genutzte Wirtschaftsgut nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes anzusetzende Wert durch 18,6 geteilt wird. Bei Grundstücken und den wie Grundvermögen bewerteten Betriebsgrundstücken ist Ausgangswert der nach § 157 Abs. 3 i.V.m. §§ 176 bis 197 BewG festgestellte Grundbesitzwert, und zwar vor Abzug von Schulden und Lasten.
Die Finanzverwaltung vertritt im Ergebnis die Auffassung, dass im Falle eines Zuwendungsnießbrauchs oder der Zuwendung eines Wohnrechts für das Grundstück kein Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts nach § 198 BewG erfolgen kann. Dieser Gedanke erscheint nur auf den ersten Blick nachvollziehbar. Denn auf diese Weise soll eine mathematische Mehrfachberücksichtigung vermieden werden. Da im Falle des Nachweises eines niedrigeren gemeinen Werts ein dinglich gesichertes Nutzungsrecht bereits bei der Wertermittlung durch einen Gutachter wertmindernd berücksichtigt wird, käme es bei der Berechnung der Begrenzung des Jahreswerts zu einer Doppelberücksichtigung. Zunächst würde der Grundbesitzwert um den Wert des Nutzungsrechts gemindert. Zusätzlich würde der Jahreswert auf einen zu niedrigen Betrag begrenzt, wenn der bereits um den Wert des Nutzungsrechts geminderte Grundbesitzwert durch 18,6 geteilt werden würde.
Allerdings ist der Anlass für die Beauftragung eines Sachverständigengutachtens in der Praxis nicht in erster Linie die bloße Berücksichtigung eines dinglich gesicherten Nutzungsrechts, weil das Nutzungsrecht auch ohne Einschaltung eines Gutachters innerhalb der Veranlagung zur Erbschaft-/Schenkungsteuer abgezogen werden kann. Ein Sachverständigengutachten dürfte in der Praxis viel mehr in erster Linie beauftragt werden, wenn individuelle Besonderheiten der zu bewertenden Immobilie von den pauschalierenden Annahmen des Bewertungsgesetzes abweichen und diese zu einem niedrigeren gemeinen Wert führen. Dies wäre beispielsweise zur Berücksichtigung von Altlasten denkbar. Sofern sich ein Nutzungsrecht auf ein beispielsweise altlastenverseuchtes Grundstück bezieht, muss die Begrenzung des Jahreswerts – entgegen der Verwaltungsauffassung – den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts zulassen. Anderenfalls käme es zu einem überhöhten Ansatz des Nutzungsrechts.