Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 109
Bei der Bewertung bebauter Grundstücke im Vergleichswertverfahren sind nach § 183 Abs. 3 BewG keine Besonderheiten zu berücksichtigen, wobei in der gesetzlichen Regelung ausdrücklich insb. Belastungen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Art erwähnt werden, die den Wert beeinflussen. Aus der Gesetzesbegründung ist erkennbar, dass besondere Abweichungen, die insb. in wertbeeinflussenden Rechten und Belastungen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Art bestehen können, dem Grunde nach zu berücksichtigen sind. Sie sollen nach der Gesetzesbegründung jedoch im Rahmen der typisierenden Wertermittlung nicht gesondert ermittelt und angesetzt werden. Damit sind wertmindernde Umstände der Höhe nach abgegolten.
Rz. 110
Diese Regelung verzichtet offenbar aus Gründen der Vereinfachung auf eine detailgetreue gesonderte Ermittlung des Wertes von privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Belastungen. Dieser Vereinfachungsgedanke würde auch verloren gehen und die Gesetzesbegründung letztlich nicht mehr tragen, wenn derartige Belastungen gesondert vom Wert der Bereicherung abgezogen werden könnten, weil sie in diesem Fall ebenso aufwändig – allerdings nicht bei der Grundstücksbewertung – zu ermitteln wären. Deshalb erscheint es unter dem Blickwinkel des Vereinfachungsgedankens folgerichtig, wenn der Gesetzgeber davon ausgeht, dass etwaige Belastungen bei Anwendung des Vergleichswertverfahrens mit dem Ansatz des Grundbesitzwerts abgegolten sind.
Rz. 111
Dennoch ergibt sich in diesem Zusammenhang eine Unschärfe. Im Ergebnis ist wohl davon auszugehen, dass bei der Bewertung eines Grundstücks im Vergleichswertverfahren nach den Regelungen des Bewertungsgesetzes keine Wertminderung abgezogen werden darf, die auf ein wertbeeinflussendes Recht oder eine Belastung privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Art zurückzuführen ist. Somit wäre eine Eigentumswohnung, die mit einem Nießbrauchsrecht belastet ist, zwar im Vergleichsverfahren zu bewerten. Die Belastung der Eigentumswohnung mit dem Nießbrauchsrecht kann aber erst im Rahmen des § 10 ErbStG bei der Ermittlung der Bereicherung berücksichtigt werden. Diese Vorgehensweise erscheint jedoch zweifelhaft, weil die Gesetzesbegründung durchaus so verstanden werden könnte, dass mit einer im Vergleichswertverfahren erfolgenden Bewertung des Grundstücks Belastungen bereits dem Grunde nach berücksichtigt sind und lediglich der Höhe nach nicht gesondert ermittelt und angesetzt werden. Wäre diese Annahme zutreffend, müsste der Abzug von derartigen Belastungen, die mit einem im Vergleichswertverfahren bewerteten Grundstück in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, stets innerhalb des § 10 ErbStG ausgeschlossen sein. Die vereinfachend unterstellte Abgeltung einer Belastung der Höhe nach schließt wegen der gleichzeitig unterstellten Erfassung der Belastung dem Grunde nach einen gesonderten (zusätzlichen) Abzug bei der Ermittlung der Bereicherung aus. Denn die gesetzliche Annahme, dass die Belastung dem Grunde nach bereits bei der Bewertung des Grundstücks erfasst ist, muss gedanklich in allen Fällen eine (nochmalige) Berücksichtigung ausschließen. Das bedeutet, der Abzug von Belastungen im Rahmen der Nachlassverbindlichkeiten (§ 10 Abs. 5 ErbStG) müsste demzufolge stets unzulässig sein. Es kann m.E. wohl davon ausgegangen werden, dass die Finanzverwaltung diese einschränkende Sichtweise zu Gunsten des Steuerpflichtigen nicht anwenden wird. Vielmehr wird die Finanzverwaltung im Ergebnis so verfahren, dass der Grundbesitzwert innerhalb des Grundvermögens (ohne Abzug des Nutzungsrechts) mit dem vollen Wert angesetzt und anschließend bei der Ermittlung der Bereicherung die Belastung durch beispielsweise ein Nutzungsrecht abgezogen wird. Weist der Steuerpflichtige dagegen den niedrigeren gemeinen Wert eines Grundstücks nach, kann er bereits innerhalb des Sachverständigengutachtens die Belastung durch beispielsweise ein Nutzungsrecht (Nießbrauchsrecht) als Wertminderung des Grundstücks abziehen. In diesem Fall ist (nochmaliger) Abzug des Nutzungsrechts bei der Ermittlung des Werts der Bereicherung nach § 10 Abs. 6 Satz 6 ErbStG ausdrücklich ausgeschlossen.
Rz. 112
Wegen der fehlenden Berücksichtigung des Wertes von wertmindernden Belastungen wirkt die Regelung des § 183 BewG – abgesehen vom Vereinfachungseffekt und bei isolierter Betrachtung des Grundbesitzwerts – regelmäßig zum Nachteil des Steuerpflichtigen. Deshalb sollte der Steuerzahler in diesen Fällen prüfen, ob mit dem Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts und dem dann möglichen Abzug von wertbeeinflussenden Rechten und Belastungen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Art ein günstigeres Ergebnis erreicht werden kann. Die Finanzverwaltung lässt nach Rd-Nr 7 den gl. lt. Erl. v. 7.12.2022 den Abzug von Grunddienstbarkeiten und persönlichen Nutzungsrechten im Rahmen des Nachweises des niedrigeren gemeinen Werts zu.
Rz. 113– 115
Einstweilen ...