Rz. 13
Ein Grundstück ist nur dann ein unbebautes Grundstück, wenn sich auf ihm keine benutzbaren, d.h. keine bezugsfertigen Gebäude befinden. Nach § 72 Abs. 1 Satz 3 BewG sind "Gebäude als bezugsfertig anzusehen, wenn den künftigen Bewohnern oder sonstigen Benutzern zugemutet werden kann, sie zu benutzen; die Abnahme durch die Bauaufsichtsbehörde ist nicht entscheidend".
Rz. 14
Die Frage, ob die Benutzung (das Beziehen) einer Wohnung bzw. eines Gebäudes zugemutet werden kann, ist nach objektiven Merkmalen unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung zu entscheiden. Für die Frage der zumutbaren Benutzung kommt es deshalb zunächst darauf an, ob es sich um ein Wohngebäude oder um ein Büro-/Geschäftsgebäude handelt und in welchem Bauzustand sich der Außen- und Innenbereich befindet. Auf die persönlichen Verhältnisse des im Einzelfall Betroffenen kommt es hingegen nicht an. Maßgebend müssen vielmehr die Ansprüche sein, die billigerweise unter Berücksichtigung der Verkehrssitte an ein zu beziehendes Gebäude gestellt werden können. Der tatsächliche Bezug lässt zwar den Schluss zu, dass die Wohnung zu diesem Zeitpunkt bezugsfertig war. Dieser Schluss ist aber nicht zwingend und widerlegbar. Ein Gebäude ist deshalb bezugsfertig, wenn die wesentlichen Bauarbeiten ausgeführt sind und nur noch unwesentliche Restarbeiten verbleiben.
Rz. 15
Bei der Entscheidung, ob ein Gebäude bezugsfertig ist, ist auf das ganze Gebäude, nicht auf die einzelnen Wohnungen oder Räume des Gebäudes abzustellen. Denn zu bewerten ist die ganze wirtschaftliche Einheit (§ 2 BewG). Sind beispielsweise die Wohnungen im Erdgeschoss vor einem Feststellungszeitpunkt bezugsfertig geworden (oder auch schon bezogen worden), die anderen Wohnungen des Gebäudes erst in dem mit diesem Feststellungszeitpunkt beginnenden Kalenderjahr, so ist das Gebäude erst zu dem darauf folgenden Feststellungszeitpunkt zu bewerten und das Grundstück als ein bebautes Grundstück anzusehen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist das Grundstück noch als unbebautes Grundstück zu bewerten (vgl. jedoch § 91 BewG – Grundstück im Zustand der Bebauung).
Rz. 16
Anders ist der Sachverhalt zu beurteilen, wenn ein Gebäude in Bauabschnitten errichtet wird. In diesem Fall ist jeder in einem besonderen Bauabschnitt errichtete Teil des Gebäudes als benutzbares Gebäude anzusehen. Zur Frage der Errichtung eines Gebäudes in Bauabschnitten s. § 74 BewG .
Rz. 17
Ein neu errichtetes Büro- und Geschäftsgebäude, das nach seiner Funktion der Vermietung einzelner entsprechend den individuellen Bedürfnissen der Mieter gestalteter Räumlichkeiten dienen soll, ist bezugsfertig i.S. von § 72 Abs. 1 Satz 3 BewG, wenn es potenziellen Mietern möglich ist, die Büro- und Geschäftsräume zu nutzen. Dies setzt neben der Fertigstellung der für das Gebäude wesentlichen Bestandteile (z.B. Außenwände, Fenster, tragende Innenwände, Estrichböden, Dach, Treppenhaus) voraus, dass zumindest ein Teil des Gebäudes bewohnbar ist. Eine Benutzbarkeit liegt vor, wenn die Büro- oder Geschäftseinheit durch Wände bzw. eingebaute Türen gegenüber dem noch nicht vermieteten Bereich abgegrenzt ist, die Innenwände eingebaut und Heizung, Sanitäreinrichtungen sowie alle notwendigen Grundleitungen für Wasser, Strom, Be- und Entlüftung, Kommunikationsanlagen usw. installiert sind.
Rz. 18
Für die Benutzbarkeit ist nicht erforderlich, dass in einem neu errichteten zur Vermietung vorgesehenen Büro- und Geschäftsgebäude bereits alle Räumlichkeiten mietergerecht ausgebaut und benutzbar sind. Ein Büro- und Geschäftsgebäude, bei dem der Innenausbau der jeweiligen Büroeinheiten wegen der Anpassung an die Wünsche der zukünftigen Mieter zurückgestellt wird, gilt nach der Verkehrsauffassung als bezugsfertig und wird am Markt üblicherweise bereits in diesem Zustand zur Vermietung angeboten.
Rz. 19
Die Finanzverwaltung ging bislang von einem rohbauähnlichen Zustand im Inneren eines Bürogebäudes aus, wenn, wenn die folgenden Ausbauteile fehlten:
- Flurwände und Türen für die Flurwände,
- Elektroverteilungen,
- Elektro- und Kommunikationsleitungen,
- Deckenverkleidungen der zu schaffenden Flure,
- Endmontage der Sprinklereinrichtungen und Brandmeldeanlagen,
- Bürotrennwände,
- Malerarbeiten einschließlich Bodenbeläge.
Fehlten diese Ausbauteile, sollte erst nach der ersten Vermietung und Herrichtung einer Teilfläche für den Mieter eine Bewertung als bebautes Grundstück vorgenommen werden. Mit Blick auf die Entscheidung des BFH v. 25.4.2013 hat die Finanzverwaltung diese Auffassung aber ausdrücklich aufgegeben und sich der Sichtweise des BFH angeschlossen.
Rz. 20
Bei neu zu errichtenden (Geschäfts- und Büro-)Gebäuden und dem noch nicht vollständigen Ausbau einiger (Geschäfts- und Büro-)Einheiten muss somit künftig von einer vollständigen Benutzbarkeit und Bezugsfertigkeit (vgl. § 72 Abs. 1 Satz 2 und 3, § 74 Satz 1 BewG) ausgegangen werde...