Rz. 1
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis – dazu gehört auch der Anspruch nach dem ErbStG – entstehen nach der allgemeinen Vorschrift des § 38 AO, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Die Tatbestände, an die das Gesetz die Leistungspflicht knüpft, sind für den Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer in den §§ 1 bis 8 ErbStG genannt. Wenn aus den dort normierten Vorgängen eine Bereicherung i.S.d. § 10 ErbStG resultiert, entsteht die Steuerpflicht.
Rz. 2
§ 9 ErbStG schafft nun keinen zusätzlichen Verpflichtungstatbestand, sondern stellt nur klar, wann die Voraussetzungen der §§ 1 bis 8 ErbStG i.V.m. § 10 ErbStG nach dem Sprachgebrauch der AO "verwirklicht" sind. Die spezielle Vorschrift des § 9 ErbStG erläutert dabei zum Teil nur den Grundsatz des § 38 AO, andererseits trifft sie auch abweichende Regelungen. § 9 ErbStG stellt damit für den Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer im Ergebnis klar, wann § 38 AO erfüllt ist.
Rz. 3
§ 9 ErbStG ist eine zentrale Vorschrift des ErbStG mit einer im Grunde allumfassenden Bedeutung. Ob es um die subjektive Steuerpflicht (§ 2 ErbStG) geht oder um die Wertermittlung (Abzugsfähigkeit von Nachlassverbindlichkeiten, § 10 Abs. 5 ErbStG, Bewertungsstichtag, § 11 ErbStG), die Berechnung der Steuer (Zusammenrechnung mit früheren Erwerben, § 14 ErbStG, Feststellung des Verwandtschaftsverhältnisses und der Steuerklasse, § 15 ErbStG) oder verfahrensrechtliche Fragen (Steuerermäßigung bei mehrfachem Erwerb desselben Vermögens, § 27 ErbStG, Verjährung § 170 AO, Bestimmung der anwendbaren Vorschriften bei Gesetzesänderungen § 37 ErbStG, Haltefristen beim Betriebsvermögen oder beim Familienheim) – letzten Endes spielt § 9 ErbStG immer eine entscheidende Rolle.
Rz. 4
Der Grundgedanke des § 9 ErbStG ist, die Erbschaftsteuer erst dann entstehen zu lassen, wenn die Bereicherung des Erwerbers tatsächlich (wirtschaftlich) eingetreten ist, und nicht schon dann, wenn lediglich eine Aussicht oder Anwartschaft auf eine künftige Bereicherung gegeben ist.
Rz. 5
Das Gesetz sieht diese Bereicherung sowohl in dem Erwerb der dinglichen Rechtposition – also des Eigentums an einer Sache, der Inhaberschaft an einem Recht oder des dinglichen Rechts an einem anderen dinglichen Recht – als auch in dem Erwerb eines wirksam entstandenen Anspruchs auf das dingliche Recht.
Rz. 6
Zum Vorfeld dinglicher Rechte und Ansprüche auf diese Rechte gehören die Erwartungen auf einen Erwerb von Rechtspositionen der genannten Art. Sie führen nicht zu einer Bereicherung. Demzufolge wird eine unbestimmte Hoffnung oder eine rechtlich ungesicherte Anwartschaft auf eine künftige Bereicherung nicht besteuert.
Rz. 7
Der Entstehungszeitpunkt der Steuer wird weder durch rechtliche noch durch tatsächliche Hindernisse hinausgeschoben. Rechtliche Beschränkungen können sich aus der Stellung der Miterben ergeben. Sie sind unbeachtlich. Ist die Auseinandersetzung durch den Erblasser ausgeschlossen (§ 2044 BGB), kann der einzelne Erbe gem. § 2046 Abs. 2 BGB verlangen, dass die Erbschaftsteuer aus dem Nachlass beglichen wird. Tatsächliche Hindernisse, die einer Verfügung des Erben über Nachlassposten gleich nach dem Erbfall entgegenstehen, sind ebenfalls unbeachtlich.
Rz. 8
Von der Entstehung der Steuer ist deren Fälligkeit zu unterscheiden, dem Zeitpunkt, zu dem das Finanzamt die Steuer anfordert. Da das Erbschaftsteuergesetz dazu keine Regelungen enthält, richtet sich die Fälligkeit nach § 220 Abs. 2 AO nach der im Steuerbescheid eingeräumten Zahlungsfrist. Die Fälligkeit tritt frühestens mit der Festsetzung der Steuer ein.
Rz. 9
Das aus dem Zusammenspiel von §§ 11 und 9 ErbStG sich ergebende Stichtagsprinzip kann vor allem bei nachträglichen Wertveränderungen zu Härten führen. Vgl. dazu § 11 ErbStG Rz. 15.
Rz. 10– 12
Einstweilen frei.