Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
I. Inhalt/Zweck der Vorschrift
Rz. 1
§ 198 BewG enthält die Regelungen zum Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts durch den Steuerzahler. Die Nachweismöglichkeit stellt zugunsten der Steuerzahler sicher, dass die grundsätzliche Bindung an die pauschalierende Bewertung des Bewertungsgesetzes durchbrochen werden kann. Somit können etwaige Unschärfen in der Bewertung, die ihre Ursache in der Pauschalierung haben, nicht nachteilig für die Steuerzahler wirken. Sie haben vielmehr die Möglichkeit, die nach dem Bewertungsgesetz ermittelten Werte durch ein Sachverständigengutachten eines qualifizierten Sachverständigen nach unten zu korrigieren. Auch ein Kaufpreis, der niedriger als der nach dem Bewertungsgesetz ermittelte Wert ist, kann – unter weiteren Voraussetzungen – als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts herangezogen werden. Die Ableitung des gemeinen Werts aus Kaufpreisen war zunächst lediglich auf Verwaltungsebene zugelassen worden. Mittlerweile ist die Ableitung durch die ausdrückliche gesetzliche Regelung in § 198 Abs. 2 BewG abgesichert.
II. Entstehung der Vorschrift
Rz. 2
Die Vorschrift entspricht inhaltlich § 138 Abs. 4 BewG, der zunächst die Öffnungsklausel zum Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts bei der Bedarfsbewertung enthielt. Mit den für Bewertungsstichtage nach dem 31.12.2008 geltenden Neuregelungen der Grundbesitzbewertung ist die Öffnungsklausel durch das Erbschaftsteuerreformgesetz v. 24.12.2008 in § 198 BewG neu verortet und in das Bewertungsgesetz eingefügt worden. Mit dem Gesetz zur erleichterten Umsetzung der Reform der Grundsteuer und Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 16.7.2021 wurde § 198 BewG um die Absätze 2 und 3 erweitert. Daher muss ein Sachverständigengutachten für Bewertungsstichtag nach dem 22.7.2021 von einem hinreichend qualifizierten Sachverständigen erstellt worden sein (§ 198 Abs. 2 BewG). Zudem wird die Möglichkeit, einen Kaufpreis als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts anstelle eines Sachverständigengutachtens heranzuziehen, gesetzlich abgesichert, sofern der Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen ist (§ 198 Abs. 3 BewG).
III. Gleich lautende Ländererlasse
Rz. 3
Die Finanzverwaltung hat die Bewertung des Grundvermögens zunächst mit gleich lautenden Erlassen vom 5.5.2009 – GV-Erlass vom 5.5.2009 – näher erläutert. Mittlerweile sind die Erläuterungen in den ErbStR 2019 enthalten. Die Auffassung der Finanzverwaltung ergab sich bezüglich des Nachweises des niedrigeren gemeinen Werts bislang aus R B 198 ErbStR 2019 sowie aus R H 198 ErbStH 2019.
Nach der Erweiterung des § 198 BewG um die Absätze 2 und 3 durch das Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetz hat die Finanzverwaltung neue Erläuterungen mit gleich lautenden Erlassen vom 7.12.2022 herausgegeben. Die Erlasse sind in allen offenen Fällen mit Bewertungsstichtagen nach dem 22.7.2021 anzuwenden. Für Bewertungsstichtage vor dem 23.7.2021 sind weiterhin R B 198 ErbStR 2019 und die gleich lautenden Erlasse v. 2.12.2020 anzuwenden, mit denen die Finanzverwaltung die Nichtanwendung des BFH-Urt. v. 5.12.2019 angeordnet hat.
Rz. 4– 5
Einstweilen frei.
IV. Anwendungsbereich
Rz. 6
Die Grundbesitzbewertung für Zwecke der Erbschaft-/Schenkungsteuer nach dem Sechsten Abschnitt des Zweiten Teils des Bewertungsgesetzes eröffnet dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts zu führen. Dadurch wird eine Bindung der Steuerpflichtigen an eine eventuelle Überbewertung vermieden, die sich durch typisierende Regelungen des Bewertungsgesetzes ergeben. Vielmehr kann der Steuerpflichtige den Ansatz des tatsächlichen gemeinen Werts verlangen, den er nachweisen muss. Der Nachweis setzt im Allgemeinen die Vorlage eines Sachverständigengutachtens voraus. Daneben ...