Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 11
Die Anwendung der Vorschrift des § 92 BewG setzt voraus, dass ein Grundstück mit einem Erbbaurecht belastet ist. Erbbaurecht ist das veräußerliche und vererbliche Recht, auf oder unter der Oberfläche des belasteten Grundstücks (Grundstück i.S.d. bürgerlichen Rechts) ein Bauwerk zu haben (§ 1 Abs. 1 der VO über das Erbbaurecht v. 15.1.1919). Das Erbbaurecht ist kein Miteigentum, sondern ein dingliches Recht an einem fremden Grundstück; der Erbbauverpflichtete bleibt weiterhin bürgerlich-rechtlicher Eigentümer des belasteten Grundstücks. Das Erbbaurecht wird nach bürgerlichem Recht wie ein Grundstück behandelt (§ 11 ErbbauVO) und kann deshalb ebenso wie die Grundstücke mit Grundpfandrechten belastet werden. Es erhält ein eigenes Grundbuchblatt. Das Erbbaurecht entsteht durch rechtsgeschäftliche Einigung zwischen dem Grundstückseigentümer und dem Berechtigten sowie durch Eintragung beim belasteten Grundstück.
Auch das Bewertungsrecht hat das Erbbaurecht im Wesentlichen den Grundstücken gleichgestellt. Es wird wie im bürgerlichen Recht als selbstständiges Grundstück behandelt mit der Folge, dass sowohl das Erbbaurecht als auch das belastete Grundstück eine selbstständige wirtschaftliche Einheit bilden und dementsprechend zwei Einheitswerte festzustellen sind. Die Bestellung eines Erbbaurechts erfolgt im Allgemeinen für Zwecke zur Verwendung des Grund und Bodens als Baugrund.
Rz. 12
Zur Charakterisierung des Erbbaurechts in Verbindung mit seiner bewertungsrechtlichen Behandlung führt das BFH-Urteil v. 29.11.1962 Folgendes aus:
"Das Erbbaurecht stellt nach den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften an sich nur ein beschränkt dingliches Recht dar. Unter Berücksichtigung der mit einem solchen Recht verbundenen weitreichenden Nutzungsbefugnisse und seiner den Grundstücken im Einzelnen stark angenäherten rechtlichen Ausgestaltung ist aber das Erbbaurecht zutreffend und mit Recht als ein juristisches Grundstück bezeichnet worden (vgl. Staudinger, Komm. zum BGB, 11. Aufl., Anm. 2 zu § 11 der Erbbaurechtsverordnung). Diese Charakterisierung erscheint sowohl nach der formalen Rechtsgestaltung, die die Eintragung dieses Rechts auf eigenem Grundbuchblatt vorsieht, als auch im Hinblick auf die materielle Rechtslage berechtigt, die es gestatten, das Erbbaurecht grundsätzlich in derselben Weise wie das Grundstück selbst zu behandeln. Dementsprechend ist auch die bewertungsrechtliche Behandlung des Erbbaurechts derjenigen von Grundstücken im Wesentlichen gleichgestellt. Das Erbbaurecht, das in gleicher Weise wie das belastete Grundstück selbst als ein besonderes, selbstständiges Wirtschaftsgut anzusehen ist, gilt nach § 50 Abs. 2 BewG aF (§ 68 Abs. 1 Nr. 2 iVm. § 70 Abs. 1 BewG 1965, der Verf.) als Grundstück."
Rz. 13
Das Erbbaurecht entsteht bürgerlich-rechtlich mit der Eintragung im Grundbuch. Für das Steuerrecht ergibt sich die Frage, ob bereits vor Eintragung das Erbbaurecht unter dem Gesichtspunkt des Eigenbesitzes i.S.d. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 (früher § 11 Nr. 4 StAnpG) dem Erbbauberechtigten zugerechnet werden kann. Eigenbesitz ist an allen Wirtschaftsgütern möglich, somit auch an einem Erbbaurecht. Das FG Nürnberg hat durch das unanfechtbar gewordene Urteil v. 5.3.1965 entschieden, dass bei der Übertragung der wirtschaftlichen Stellung eines Erbbauberechtigten unter gleichzeitigem Abschluss eines Erbbauvertrags zu dem auf den Zeitpunkt des Abschlusses des notariellen Vertrages folgenden Stichtag das Erbbaurecht dem Berechtigten zuzurechnen sei. Bei der durch § 11 Nr. 4 StAnpG (nunmehr § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977) vorgeschriebenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise könne es hierbei auf die Tatsache, dass das Erbbaurecht formalrechtlich erst mit der Eintragung im Grundbuch entsteht, nicht ankommen. Die gleiche Auffassung vertrat das FG Rheinland-Pfalz in der Entscheidung v. 7.4.1961. Der RFH und der BFH haben sich auch in mehreren Entscheidungen mit dem Erbbaurecht befasst.
Alle diese Urteile befassen sich mit einer Ausnahme jedoch nicht mit der hier zu entscheidenden Frage. Nur im Urteil v. 29.11.1962 wird auf das Urteil des RFH v. 31.3.1942 Bezug genommen und ausgeführt, dieses Urteil habe "im Wesentlichen die gleiche Frage der Vorverlegung des wirtschaftlichen Erwerbs einer dinglichen Rechtsstellung vor dem formalen Rechtserwerb im Hinblick auf das Erbbaurecht erörtert und dabei die Möglichkeit bejaht, dass der Erbbauberechtigte schon vor der Eintragung seines Rechts im Grundbuch als wirtschaftlicher Inhaber dieses Rechts und damit auch als wirtschaftlicher Eigentümer der von ihm errichteten Baulichkeiten anzusehen ist." Dieser Auffassung dürfte zuzustimmen sein.
Rz. 14– 15
Einstweilen frei.