Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 25
Bei der Bewertung von Grundstücken im Zustand der Bebauung ist zunächst zu unterscheiden, ob das Grundstück vor Beginn der Baumaßnahmen unbebaut oder bereits bebaut war. Die Entscheidung, ob vor Beginn der am Bewertungsstichtag noch nicht abgeschlossenen Baumaßnahme ein unbebautes oder ein bebautes Grundstück vorgelegen hat, ist nach der Definition der unbebauten Grundstücke (vgl. § 178 Abs. 1 BewG) bzw. der bebauten Grundstücke (vgl. § 180 Abs. 1 BewG) vorzunehmen.
Rz. 26
Ein unbebautes Grundstück liegt vor, wenn sich auf dem Grundstück außer dem im Bau befindlichen Gebäude zu Beginn der Baumaßnahme keine bezugsfertigen Gebäude befinden (§ 178 Abs. 1 BewG). Ein Grundstück gilt auch dann als unbebaut, wenn sich auf dem Grundstück lediglich Gebäude befinden, die auf Dauer keiner Nutzung zugeführt werden können oder in denen infolge von Zerstörung oder Verfall auf Dauer kein benutzbarer Raum mehr vorhanden ist (§ 178 Abs. 2 BewG). Vgl. dazu im Einzelnen auch die Kommentierung zu § 178 BewG. Für das unbebaute Grundstück ist die Bewertung nach § 179 BewG vorzunehmen. Danach ist die Fläche des Grundstücks mit dem zuletzt vor dem Bewertungsstichtag zu ermittelnden Bodenrichtwert zu multiplizieren (vgl. die Kommentierung zu § 179 BewG).
Rz. 27
Sind auf dem Grundstück vor Beginn der noch nicht abgeschlossenen Baumaßnahme bereits bezugsfertige Gebäude oder Gebäudeteile vorhanden, handelt es sich um ein bebautes Grundstück. Die Bewertung erfolgt in diesem Fall in Abhängigkeit der Grundstücksart (vgl. § 182 BewG) regelmäßig nach dem Vergleichswertverfahren (§ 183 BewG), dem Ertragswertverfahren (§§ 184–188 BewG) oder dem Sachwertverfahren (§§ 189–191 BewG). Bezüglich der Sonderverfahren (Erbbaurecht und Erbbaugrundstücke sowie Gebäude auf fremdem Grund und Boden) s. Rz. 37 ff. Ändert sich nach Abschluss der Baumaßnahme die Grundstücksart des bebauten Grundstücks (z.B. durch Aufstockung wird aus dem bisherigen Zweifamilienhaus ein Mietwohngrundstück), ist für die Bewertung des bebauten Grundstücks die Grundstücksart vor Beginn der noch nicht abgeschlossenen Baumaßnahme maßgebend.
Rz. 28
Der Grundbesitzwert für ein Grundstück im Zustand der Bebauung umfasst neben dem Wert des unbebauten bzw. dem Wert des bebauten Grundstücks auch den Wert des noch nicht bezugsfertigen Gebäudes oder Gebäudeteils. Daher ist dem bisherigen Wert des unbebauten bzw. des bebauten Grundstücks anschließend der Wert der bis zum Bewertungsstichtag entstandenen Herstellungskosten des im Bau befindlichen Gebäudes oder Gebäudeteils hinzuzurechnen. Da die entstandenen Herstellungskosten maßgeblich sind, kommt es auf den tatsächlichen Zahlungsabfluss nicht an.
Rz. 29
Beispiel
Ein zuvor unbebautes Grundstück wird mit einem Einfamilienhaus bebaut. Noch vor Bezugsfertigkeit verstirbt der Bauherr am 15.06.2022. Das Grundstück ist 850 m[2] groß, der Bodenrichtwert beträgt 160 EUR/m[2]. Bis zum Bewertungsstichtag sind Herstellungskosten von 125.000 EUR entstanden, von denen 110.000 EUR bezahlt worden sind.
Der Wert für das Grundstück im Zustand der Bebauung beträgt (§ 196 Abs. 2 i.V.m. § 179 BewG):
Wert des zuvor unbebauten Grundstücks (§ 179 BewG) |
136.000 EUR |
(Grundstückgröße × Bodenrichtwert; 850 m [2] × 160 EUR/m [2] ) |
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Zuzüglich bis zum Bewertungsstichtag entstandene Herstellungskosten |
125.000 EUR |
(die tatsächliche Zahlung ist unbeachtlich; die bestehende Verbindlichkeit i.H.v. 15.000 EUR kann bei der Erbschaftsteuerveranlagung als Erblasserschuld nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abgezogen werden; sie steht im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Grundstück im Zustand der Bebauung) |
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Grundbesitzwert |
261.000 EUR |
Rz. 30
Ist die Ermittlung der bis zum Bewertungsstichtag entstandenen Herstellungskosten nicht eindeutig möglich, können sie anhand des Baufortschritts geschätzt werden. Als Anhaltspunkt dafür kann nach Ansicht der Finanzverwaltung z.B. § 3 Abs. 2 Nr. 2 der Makler- und Bauträgerverordnung dienen. Diese Vorschrift regelt verbindlich die Möglichkeit von Abschlagszahlungen in einem Bauträgervertrag, deren Fälligkeit vom Baufortschritt abhängig ist.
§ 3 Abs. 2 der Makler- und Bauträgerverordnung hat folgenden Wortlaut:
§ 3 Besondere Sicherungspflichten für Bauträger
(1) [...]
(2) Der Gewerbetreibende darf in den Fällen des Absatzes 1 die Vermögenswerte ferner in bis zu sieben Teilbeträgen entsprechend dem Bauablauf entgegennehmen oder sich zu deren Verwendung ermächtigen lassen. Die Teilbeträge können aus den nachfolgenden Vomhundertsätzen zusammengesetzt werden: