Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 27
In der Praxis wird der Steuerzahler einen Kaufpreis, der für das konkrete Bewertungsobjekt innerhalb eines Toleranzzeitraums um den Bewertungsstichtag erzielt worden ist, immer bei der Feststellung des Grundbesitzwerts geltend machen, wenn der Kaufpreis niedriger ist als der Wert, den das Finanzamt nach den typisierten Bewertungsmethoden anzusetzen hat.
Rz. 28
Hierbei wird sich der Steuerzahler auf § 198 BewG berufen, wonach der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts zulässig ist. Bereits bisher hatte die Finanzverwaltung den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts durch einen innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Bewertungszeitpunkt zustande gekommenen Kaufpreises zugelassen. Dabei wurde auch ein größerer Zeitraum als ein Jahr vor oder nach dem Bewertungszeitpunkt anerkannt, wenn sich die für die Bewertung maßgebenden Verhältnisse nicht geändert hatten.
Rz. 29
Sofern die Finanzverwaltung also in der Praxis die Auffassung vertreten sollte, dass ein durch den Steuerzahler geltend gemachter Vergleichskaufpreis mangels ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage unberücksichtigt bleiben muss, bleibt es dem Steuerzahler unbenommen, den Ansatz des Kaufpreises im Rahmen des Nachweises des niedrigeren gemeinen Werts geltend zu machen. Aus der Sicht des Steuerzahlers hätte dies den Vorteil, dass das Finanzamt seinerseits einen höheren tatsächlich erzielten Kaufpreis für das zu bewertende Objekt nicht bei der Ermittlung des gemeinen Werts ansetzen dürfte. Denn bei einer engen Auslegung des Wortlauts des § 183 Abs. 1 Satz 2 BewG sowie der dazu ergangenen Gesetzesbegründung muss der Marktwert eines Grundstücks vorrangig aus den von den Gutachterausschüssen mitgeteilten Vergleichspreise bzw. regelmäßig aus den tatsächlich realisierten Kaufpreisen von "anderen" Grundstücken abgeleitet werden können, die hinreichend vergleichbar sind.
Rz. 30
Danach käme die Ableitung aus einem Kaufpreis des zu bewertenden Grundstücks im Rahmen des Vergleichswertverfahrens nicht in Betracht. Ob sich die Finanzverwaltung diese Auslegung zu Eigen macht, dürfte fraglich erscheinen, weil nach dem GV-Erlass vom 5.5.2009 auch geeignete Verkaufspreise aus anderen Kaufpreissammlungen des zuständigen Finanzamts herangezogen werden können. Insofern könnte das Finanzamt die Eignung des einzelnen Verkaufspreises zur Ableitung des gemeinen Werts unterstellen. Dies würde bedeuten, dass ein tatsächlich erzielter Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück nicht nur in den Fällen maßgebend wäre, in denen der Steuerzahler den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts führen will, sondern auch dann, wenn das Finanzamt einen höheren Wert anstrebt.
Rz. 31
Somit erscheint es nicht ausgeschlossen, dass ein Kaufpreis, der für das zu bewertende Grundstück tatsächlich erzielt worden ist, im Rahmen des Vergleichswertverfahrens als gemeiner Wert festgestellt wird. Dabei wäre vorauszusetzen, dass der Kaufpreis im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu Stande gekommen ist und die Rechtsprechung die im GV-Erlass vom 5.5.2009 vertretene Auffassung der Finanzverwaltung bestätigt, dass auch ein einzelner Kaufpreis als Vergleichspreis herangezogen werden kann. Die Ableitung des gemeinen Werts aus einem tatsächlichen Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück müsste demnach auch möglich sein, wenn sich bei einer Bewertung im Ertragswertverfahren oder Sachwertverfahren ein niedrigerer Wert ergeben würde, weil das Vergleichswertverfahren vorrangig anzuwenden ist. Das sich hierbei ergebende Streitpotenzial ist nicht zu unterschätzen. Einerseits wird der Steuerzahler prüfen, ob der Kaufpreis durch den nach § 198 BewG zulässigen Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts im Rahmen einer Verkehrswertermittlung aufgehebelt werden kann. Andererseits muss der Kaufpreis in einer engen zeitlichen Nähe zum Bewertungsstichtag liegen, damit dem Kaufpreis eine hinreichende Aussagekraft mit Blick auf den maßgebenden Bewertungsstichtag beigemessen werden kann. Die zu Gunsten des Steuerzahlers beim Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts geltende Frist von einem Jahr vor oder nach dem Besteuerungszeitpunkt dürfte insoweit nicht maßgebend sein. Das gilt erst recht für die Regelung, dass ein Kaufpreis auch noch außerhalb des Zeitraums von einem Jahr herangezogen werden kann, sofern sich die maßgeblichen Verhältnisse gegenüber den Verhältnissen zum Bewertungsstichtag nicht geändert haben.
Rz. 32– 34
Einstweilen frei.