Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 36
Das statische Prinzip des BewG wird als Stichtagsprinzip bezeichnet. Diese Bezeichnung ist insofern ungenau, als es regelmäßig nicht auf die Verhältnisse eines ganzen Tages, sondern auf die eines bestimmten Zeitpunkts ankommt. Sie wird jedoch von der Rechtsprechung und der Literatur als Ausdruck des statischen Prinzips verwendet. Nur Umstände, die am Stichtag bereits vorhanden waren, aber erst nach dem Stichtag bekannt geworden sind, dürfen berücksichtigt werden, wenn sie durch eine Prüfung der in Betracht kommenden Verhältnisse am Stichtag hätten festgestellt werden können (Aufhellung). Nach dem Stichtag bekannt gewordene Verhältnisse dürfen jedoch nur berücksichtigt werden, wenn sie am Stichtag schon bestanden haben. Diese Grundsätze wirken sich auf sog. Gewinnwarnungen (§ 15 WpHG) dahin aus, dass deren Auswirkung auf den Börsenkurs immer berücksichtigt werden muss, wenn sie in diesem schon ihren Niederschlag gefunden haben, aber auch dann, wenn die Gewinnwarnung erst in den Börsenkurs des nächsten Handelstags eingeht. Berichte über die Ertragslage (§§ 44a f. BörsG i.V.m. §§ 53 f. BörsZulVO), die einen Zeitraum betreffen, in dem der Bewertungsstichtag liegt, die aber am Stichtag noch nicht vorhanden waren, können dagegen nicht zurückbezogen werden. Zum Stichtag bei der Bewertung von Anteilen auf Grund von Börsenkursen s. auch unten Anm. 60 f. und auf Grund von Verkäufen unten Anm. 126 f. Für die Entscheidung der Frage, ob Wertpapiere, in denen Anteile an Kapitalgesellschaften verbrieft sind, mit dem Börsenkurs (Abs. 1) oder mit dem gemeinen Wert (Abs. 2) zu bewerten sind, kommt es jedoch auf die Verhältnisse eines ganzen Tages an. Welcher Tag maßgebend ist, bestimmt das einzelne Steuergesetz. Für die Vermögensteuer war dies der 31.12., der dem Veranlagungszeitpunkt vorhergeht (§ 17 Abs. 1, § 112 BewG). Für die Erbschaftsteuer ist der Todestag des Erblassers oder bei Schenkungen der Zeitpunkt der Ausführung der Schenkung maßgebend (§ 17 Abs. 2 BewG, §§ 9, 12 ErbStG). Sind Wertpapiere am maßgebenden Stichtag zum amtlichen Börsenhandel zugelassen und liegt am Stichtag eine Notierung nicht vor, so kann ein Kurs innerhalb der letzten 30 Tage vor dem Stichtag maßgebend sein. Sind Wertpapiere dagegen am maßgebenden Stichtag nicht (mehr) zum amtlichen Börsenhandel zugelassen, so könnte eine Kursnotierung innerhalb 30 Tage vor dem Stichtag aufgrund einer damals noch bestehenden Börsenzulassung grundsätzlich nicht zur Bewertung mit dem Börsenkurs führen. Wegen des Vorrangs des Marktpreises s. oben Anm. 2 und unten Anm. 77 und 78. Offen ist, ob ein solcher Kurs außerhalb der zeitlichen Bandbreite der von § 11 Abs. 1 BewG als amtliche Kurse bezeichneten Notierungen als Verkaufspreis i.S.d. § 11 Abs. 2 BewG angesehen werden kann, wenn es sich um einen Bezahlt-Kurs handelt. Im Hinblick auf den Vorrang der Marktverhältnisse wird man dies annehmen müssen, weil ein solcher Kurs nicht ein "Börsenkurs", sondern ein "Verkaufspreis" i.S.d. Bewertungsrechts ist.
Rz. 37
Der BFH hat es im Urteil vom 6.12.1991 bei einer Mitte des Jahres ausgeführten Schenkung von Geschäftsanteilen an einer GmbH für zulässig erachtet, dass der gemeine Wert der Beteiligung im maßgebenden Zeitpunkt durch Interpolation zwischen den vor Ausführung der Schenkung und nach Ausführung der Schenkung zum jeweiligen 31.12. festgestellten gemeinen Werte ermittelt werden könne. Diese für die Schenkungsteuer ergangene Entscheidung, die die Zulässigkeit der Interpolation an eine Reihe von Voraussetzungen bindet, konnte auf die Regelbewertungen zum 31.12. eines Jahres nicht übertragen werden. Sie hat seit dem Wegfall der Vermögensteuer nur noch eingeschränkte Bedeutung.
Rz. 38
Für Bewertungsstichtage nach dem 1.1.2009 wird der Wert des Anteils an einer Kapitalgesellschaft für Zwecke der Erbschaft-/Schenkungsteuer nach § 151 Abs. 1 Nr. 3 BewG zum jeweiligen Bewertungsstichtag gesondert festgestellt. Das gilt auch für die Feststellung des gemeinen Werts für einen Gewerbebetrieb oder für den Wertanteil an einer Beteiligung an einer Personengesellschaft (§ 151 Abs. 1 Nr. 2 BewG). Allerdings dürfen in den Fällen, in denen die Voraussetzungen für den Ansatz des Basiswerts erfüllt sind (vgl. § 151 Abs. 3 BewG), die Feststellungen innerhalb eines Jahreszeitraums inhaltlich übernommen werden.
Rz. 39– 40
Einstweilen frei.