Dipl.-Finw. (FH) Gerhard Bruschke
Rz. 272
Der BFH hat in st. Rspr. entschieden, dass die einzelnen Fortschreibungsgründe selbständig nebeneinander stehen und für jeden Fortschreibungsgrund der in § 22 Abs. 4 BewG vorgeschriebene Fortschreibungszeitpunkt getrennt zu wählen ist. Fortschreibungen wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse und zur Beseitigung von Fehlern sind deshalb getrennt zu den in § 22 Abs. 3 Sätze 2 und 3 bzw. § 22 Abs. 4 Satz 3 BewG vorgeschriebenen Zeitpunkten durchzuführen.
Rz. 273
Das gilt entsprechend, wenn eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die zu einer Werterhöhung führt, mit einem Fehler zusammentrifft, der sich nachteilig ausgewirkt hat. Zuerst muss die Werterhöhung auf Grund der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse erfasst und anschließend nach § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 Alt. 1 BewG der Fehler beseitigt werden.
Rz. 274
Hat das Finanzamt für die Fortschreibung einen unzutreffenden Zeitpunkt gewählt, kann es nach Aufhebung dieses Bescheids im Rechtsbehelfsverfahren die Fortschreibung nach §§ 181 Abs. 1 Satz 1, 174 Abs. 4 AO zum frühestmöglichen Stichtag wiederholen. Stichtag ist dann bei einer Erhöhung des Einheitswerts nicht erst der Beginn des Kalenderjahrs der Erteilung des zweiten Bescheids, sondern der Zeitpunkt, zu dem das Finanzamt den ersten Bescheid hätte richtigerweise erlassen müssen.
Rz. 275
Dem Schutzzweck des § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 Alt. 2 BewG ist schon durch die Bekanntgabe des ersten, wenn auch rechtswidrigen Fortschreibungsbescheids genügt. Der Ablauf der Feststellungsfrist für den neuen Fortschreibungsbescheid ist nach § 174 Abs. 4 AO unbeachtlich, wenn der zweite, rechtmäßige Bescheid innerhalb eines Jahres nach der Aufhebung des ersten Bescheids ergeht.
Rz. 276
Das Nebeneinander der verschiedenen Fortschreibungszeitpunkte kann zu erheblichen Schwierigkeiten führen. Die einzelnen Fortschreibungsgründe müssen zunächst danach sortiert werden, welcher von ihnen zu welchem Fortschreibungsstichtag zu welcher Art von Fortschreibung führt. Sodann ist die Reihenfolge der Fortschreibungszeitpunkte festzulegen und bei Wertfortschreibungen zu prüfen, ob jeweils die Wertgrenzen erreicht sind.
Rz. 277
Beispiel:
Bei der Einheitsbewertung eines als Zweifamilienhaus im Ertragswertverfahren bewerteten Grundstücks auf den 1.1.1964 sind folgende Fehler unterlaufen:
- a) Das Finanzamt ist von einer zu großen Wohnfläche ausgegangen. Dieser Fehler ist dem Finanzamt im Jahre 1986 bekannt geworden.
- b) Das Grundstück hätte nach einem 1988 verkündeten, die bisherige Rspr. verschärfenden Urteil des BFH im Sachwertverfahren bewertet werden müssen;
- c) Das Finanzamt hat eine bereits 1963 (Baujahr) vorhandene Garage nicht erfasst. Dieser Fehler ist dem Finanzamt im Jahre 1986 bekannt geworden.
- d) Das Grundstück enthält nicht zwei Wohnungen, sondern nur eine. Dieser Fehler ist dem Finanzamt im Jahre 1987 bekannt geworden.
e) Außerdem hat der Eigentümer im Jahre 1984 eine zweite Garage errichtet.
Das Finanzamt prüft im Jahre 1988, welche Fortschreibungen zu welchem Zeitpunkt durchzuführen sind. Eine Änderung zum Hauptfeststellungszeitpunkt gem. § 173 AO scheidet aus.
Lösung:
Als erste Maßnahme ist eine Wertfortschreibung auf den 1.1.1985 wegen des Neubaus der zweiten Garage durchzuführen (§ 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BewG). Sind die Wertgrenzen nicht erreicht, ist diese Änderung der tatsächlichen Verhältnisse erst bei der nächsten Wertfortschreibung zu berücksichtigen.
Die Fehler a) und c) sind daraufhin zu prüfen, ob sie bei Saldierung im Ergebnis zu einer Erhöhung oder Herabsetzung des Einheitswerts führen. Führen sie zu einer Herabsetzung, können sie schon zum 1.1.1986 durch Fortschreibung beseitigt werden (§ 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 Alt. 1 BewG); führen sie im Ergebnis zu einer Erhöhung des Einheitswerts, ist Fortschreibungsstichtag der 1.1.1988 (§ 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 Alt. 2 BewG).
Der Fehler b) ist erst auf den 1.1.1989 zu korrigieren (§ 22 Abs. 3 Sätze 2 und 3 BewG).
Der Fehler d) ist zum 1.1.1987 durch Artfortschreibung zu korrigieren (§ 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 Alt. 1 BewG). Da sich infolge der Artfortschreibung vom Zweifamilienhaus zum Einfamilienhaus bei der Bewertung im Ertragswertverfahren ein höherer Vervielfältiger ergibt, ist zu prüfen, ob dieser Fehler nach § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 Alt. 2 BewG zum 1.1.1988 korrigiert werden kann. Wenn eine Korrektur zu diesem Stichtag nicht möglich ist, muss dieser Fehler bei der nächsten Wertfortschreibung beseitigt werden.
Rz. 278
Das Beispiel macht deutlich, dass die Festlegung des zutreffenden Fortschreibungszeitpunkts nach der gesetzlichen Regelung i.V.m. der Vorgabe der Trennung der einzelnen Fortschreibungsgründe zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führen kann. Es ist deshalb zu empfehlen, bei einer gesetzlichen Neuregelung für alle Fortschreibungen einheitliche Fortschreibungszeitpunkte festzulegen und nur danach zu differenzieren, ob die Fortschreibung zu einer Herabset...