Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 73
Mit Urteil vom 30.1.2019 hat der BFH entschieden, dass eine unbedingte Abbruchverpflichtung besteht, wenn der Mieter nach den vertraglichen Vereinbarungen bei Beendigung des Mietvertrags grundsätzlich zum entschädigungslosen Abbruch der von ihm errichteten Gebäude verpflichtet ist und er nur in bestimmten Fällen eine Entschädigung für die Gebäude erhält. Das Urteil ist zwar zur Einheitsbewertung ergangen. Allerdings kann das Urteil auch auf die Ermittlung des Grundsteuerwerts hinsichtlich der Aussagen übertragen werden, unter welchen Voraussetzungen die Berücksichtigung einer Abbruchverpflichtung dem Grunde nach möglich ist. Danach lässt eine Entschädigungsregelung die Abbruchverpflichtung nicht entfallen, wenn die Erfüllung der Entschädigungsvoraussetzungen von dem Verhalten des Vermieters oder von Dritten abhängig ist. Sofern sich konkrete Tatsachen für die Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs von Gebäuden, die auf fremdem Grund und Boden errichtet wurden, nicht hinreichend sicher feststellen lassen, besteht die Abbruchverpflichtung.
Allerdings ist in der Praxis davon auszugehen, dass in den Fällen, in denen ein Miet- oder Pachtverhältnis ausdrücklich mehrmals im Anschluss an den vorhergehenden Vertrag ohne grundsätzliche Änderungen der Vertragsbedingungen verlängert wird und sich hierdurch eine lange Gesamtdauer ergibt, die an sich bestehende Abbruchverpflichtung des Mieters oder Pächters nicht oder zumindest nicht innerhalb der üblichen Lebensdauer der errichteten Anlagen realisiert wird. Dabei sind für die Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs die Verhältnisse zum Feststellungszeitpunkt maßgeblich. Die bloße Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass die Abbruchverpflichtung nicht realisiert wird, beseitigt die vereinbarte Abbruchverpflichtung nicht. Das gilt nach der o.g. Entscheidung des BFH selbst dann, wenn von vornherein eine lange Laufzeit des Miet- oder Pachtvertrags vereinbart wurde, weil dies für sich allein genommen nicht dazu führt, dass der Nichtabbruch konkret voraussehbar ist.
Rz. 74
Für Kernsanierungen hat der Gesetzgeber die Verlängerung der Restnutzungsdauer wegen der Verbesserung der Gebäudesubstanz vorgesehen (§ 253 Abs. 2 Satz 4 BewG). Dies korrespondiert jedoch nicht mit Fällen, in denen eine wesentliche Verschlechterung der Gebäudesubstanz – beispielsweise durch äußere Umstände wie Naturkatastrophen – eingetreten ist. Lediglich in den Fällen einer Abbruchverpflichtung kommt eine Verkürzung der Restnutzungsdauer für das Gebäude in Betracht (§ 253 Abs. 2 Satz 6 BewG). Dabei handelt es sich um eine rechtliche Verpflichtung und keinen den die Gebäudesubstanz betreffenden Umstand.
Rz. 75
Damit ist nach der Vorgabe des Gesetzgebers insb. die wertmindernde Berücksichtigung von Baumängeln und Bauschäden ausgeschlossen. Dies gilt auch für andere wirtschaftliche Gegebenheiten. Auch insoweit ist eine Verkürzung der Restnutzungsdauer bei der Ermittlung des Grundsteuerwerts ausgeschlossen. Selbst wenn Baumängel oder Bauschäden nicht behebbar sind und auch durch eine Ausbesserung nicht auf Dauer beseitigt werden können, ist keine wertmindernde Berücksichtigung bei der Ermittlung des Grundsteuerwerts möglich. Das könnte beispielsweise bei Bergschäden, Gründungsmängeln oder Schäden infolge von Naturkatastrophen der Fall sein. Sofern im Hauptfeststellungszeitpunkt 1.1.2022 noch Gebäude vorhanden sein sollten, die Kriegsschäden aufweisen, käme eine Verkürzung der Restnutzungsdauer ebenfalls nicht in Betracht.
Rz. 76
Die Berechnung der Restnutzungsdauer unter Berücksichtigung einer Abbruchverpflichtung ergibt sich aus dem nachstehenden Rechenbeispiel.
Beispiel
Ein Wohngebäude ist 1983 bezugsfertig errichtet worden. Es besteht eine vertraglich vereinbarte Abbruchverpflichtung im Jahr 2031.
Die wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes beträgt nach Anlage 38 zum BewG 80 Jahre. Unter Berücksichtigung der Abbruchverpflichtung ermittelt sich dagegen eine Gesamtnutzungsdauer von:
Jahr der Abbruchverpflichtung |
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2031 |
Baujahr |
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1983 |
Gesamtnutzungsdauer unter Berücksichtigung der Abbruchverpflichtung in Jahren |
48 |
Die Restnutzungsdauer unter Berücksichtigung der Abbruchverpflichtung berechnet sich wie folgt:
Jahr des Hauptfeststellungszeitpunkts |
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2022 |
Abzgl. Baujahr |
1983 |
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Alter in Jahren |
39 |
39 |
Restnutzungsdauer unter Berücksichtigung der Abbruchverpflichtung in Jahren |
9 |
Hinweis: Die Mindest-Restnutzungsdauer von 24 Jahren (30 % von 80 Jahren) ist unbeachtlich.
Rz. 77
Die Berücksichtigung einer Abbruchverpflichtung kann nur erfolgen, wenn sie im Feststellungszeitpunkt besteht. Sofern also erst nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt eine Abbruchverpflichtung vereinbart wird, kann diese im Hauptfeststellungszeitpunkt nicht berücksichtigt werden. Vielmehr handelt es sich um eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach § 228 Abs. 2 BewG, die dem Finanzamt anzuzeigen ist. Sie kann unter den weiteren Voraussetzungen des § 222...