Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 36
Nach dem Recht der ehemaligen DDR war es möglich, an Grundstücken unbefristete oder befristete Nutzungsrechte zu verleihen. Im Rahmen des Nutzungsverhältnisses war der Nutzungsberechtigte – nach vorheriger Einholung der Zustimmung des Grundstückseigentümers – berechtigt, Gebäude auf dem überlassenen Grundstück zu errichten (Gebäude auf fremdem Grund und Boden). Darüber hinaus treten in der Praxis immer wieder Fälle auf, in denen ein Ende der Pachtdauer des Grund und Bodens nicht bestimmt wird (z.B. in Fällen der Betriebsaufspaltung). Soweit unbefristete Überlassungsverträge noch Bestand haben, stellt sich die Frage, wie das belastete Grundstück zu bewerten ist, wenn der Grund und Boden am Bewertungsstichtag unbefristet überlassen wird.
Rz. 36.1
Der Grundbesitzwert des belasteten Grundstücks ergibt sich gemäß § 195 Abs. 3 BewG aus der Summe des auf den Bewertungsstichtag abgezinsten Bodenwerts und des über die Restlaufzeit des Nutzungsrechts kapitalisierten Entgelts (vgl. Rz. 33 ff.). Dabei hängen die Abzinsung des Bodenwerts und die Kapitalisierung des Entgelts von der am Bewertungsstichtag auf volle Jahre abgerundeten Restlaufzeit des Nutzungsrechts ab. Bei unbefristeten Nutzungsüberlassungen ergibt sich jedoch das Problem, dass aufgrund des nicht feststehenden Endes des Nutzungsrechts eine Restlaufzeit nicht ohne weiteres ermittelbar ist.
Rz. 36.2
Um in diesen Fällen die belasteten Grundstücke gleichwohl bewerten zu können, kann bei der unbefristeten Überlassung des Grund und Bodens hilfsweise auf die Regelungen zur Ermittlung eines Kapitalwerts von wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen nach § 13 Abs. 2 BewG zurückgegriffen werden. Durch § 13 Abs. 2 BewG wird geregelt, dass immerwährende Nutzungen oder Leistungen mit dem 18,6-fachen des Jahreswerts, und Nutzungen oder Leistungen von unbestimmter Dauer (vorbehaltlich § 14 BewG) mit dem 9,3-fachen des Jahreswerts zu bewerten sind. Immerwährende Nutzungen und Leistungen liegen vor, wenn ihr Ende von Ereignissen abhängt, von denen ungewiss ist, ob und wann sie in absehbarer Zeit eintreten. Dagegen liegen Nutzungen und Leistungen von unbestimmter Dauer vor, wenn das Ende in absehbarer Zeit sicher feststeht, aber der Zeitpunkt des Endes bzw. des Wegfalls am Bewertungsstichtag ungewiss ist. Vgl. dazu im Einzelnen die Kommentierung zu § 13 BewG.
Rz. 36.3
Demnach bieten sich in diesen Fällen zwei Lösungsmöglichkeiten an. Zum einen kann in Anlehnung an immerwährende Nutzungen und Leistungen ein Kapitalisierungsfaktor (Vervielfältiger) von 18,6 angenommen werden, der nach Anlage 9a BewG bzw. Tabelle 6 der gleich lautenden Erlasse der Länder vom 10.10.2010 einer Laufzeit von mehr als 101 Jahren entspricht. Zum anderen kann in Anlehnung an Nutzungen und Leistungen von bestimmter Dauer ein Kapitalisierungsfaktor von 9,3 angenommen werden, der einer Laufzeit von rund 13 Jahren entspricht.
Rz. 36.4
Dem Grunde nach könnten unbefristete Nutzungsüberlassungen wie eine immerwährende Nutzungsüberlassung zu betrachten sein, da ihr Ende von Ereignissen abhängt, von denen ungewiss ist, ob und wann sie in absehbarer Zeit eintreten. Die Nutzungsüberlassung ist allerdings nicht so ausgeprägt, wie eine immerwährende Nutzung, bei der z.B. der Grundstückseigentümer die Überspannung seines Grundstücks mit einer Hochspannungsleitung duldet und die im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeit zeitlich nicht beschränkt ist. Denn die unbefristete Überlassung des Grundstücks (Grund und Boden) könnte jederzeit durch den Nutzungsberechtigten gekündigt werden. Eine Kündigung ist auch durch den Überlassenden denkbar, wenn der Berechtigte seinen Verpflichtungen aus der Nutzungsüberlassung (z.B. Zahlung des Entgelts für die Nutzungsüberlassung) nicht nachkommt. Zudem erscheint eine Restlaufzeit von mehr als 101 Jahren äußerst praxisfern.
Rz. 36.5
Bei der Bewertung von unbefristeten Nutzungsrechten an dem Grund und Boden sollte eher auf den Vervielfältiger von 9,3 und damit auf eine Laufzeit von rund 13 Jahren abgestellt werden. Hierfür sprechen neben der praxisorientierten Dauer der Laufzeit auch die o.g. Kündigungsmöglichkeiten. Zwar könnte gegen diese Auffassung eingewendet werden, dass das Ende in absehbarer Zeit nicht sicher feststeht. Dennoch dürfte die angenommene Laufzeit von rund 13 Jahren aufgrund der Kündigungsmöglichkeiten der tatsächlichen Laufzeit mit einer höheren Wahrscheinlichkeit entsprechen und damit ein realitätsnahes Bewertungsergebnis abbilden. Das Ende steht in absehbarer Zeit zwar nicht sicher, jedoch sehr wahrscheinlich fest, so dass letztlich nur der Zeitpunkt des Endes bzw. des Wegfalls am Bewertungsstichtag ungewiss ist.
Rz. 36.6
Die nachfolgende Gegenüberstellung zeigt, dass der Grundbesitzwert des belasteten Grundstücks nach der von uns befürworteten Variante allerdings regelmäßig höher als bei der Annahme einer Laufzeit von mehr als 101 Jahren ist.
Rz. 36.7