I. Entstehung und Anwendungsbereich des Abs. 4
Rz. 211
Land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen eines als Existenzgrundlage dienenden Betriebs der Land- und Forstwirtschaft genießen nicht den Schutz des § 69 Abs. 2 BewG, soweit für diese Flächen nach § 55 Abs. 5 Satz 1 EStG der höhere Teilwert festgesetzt wird. § 69 Abs. 4 BewG enthält mithin eine Einschränkung der Schutzvorschrift des § 69 Abs. 2 BewG und wäre – systematisch – besser dem Absatz 2 angefügt worden. Die Regelung in einem selbständigen Absatz erklärt sich wohl daraus, dass Absatz 4 durch Artikel 3 des Gesetzes zur Änderung der EStG und anderer steuerrechtlicher Vorschriften (Zweites StÄndG 1971) mit folgendem Wortlaut in das BewG 1965 eingefügt worden war:
"Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 finden in den Fällen des § 55 Abs. 5 Satz 1 des EStG keine Anwendung. Die Zurechnung der Hofstelle mit den dazugehörigen Flächen i.S.d. § 40 Abs. 3 Sätze 1 u. 2 zum land- und forstwirtschaftlichen Vermögen bleibt unberührt; das gilt auch für andere Flächen bis zur Größe von insgesamt einem Hektar, die im räumlichen Zusammenhang mit der Hoffläche stehen."
Rz. 212
Diese ursprüngliche Regelung, die die Absätze 2 und 3 Satz 2 einschränkte, erlangte keine praktische Bedeutung, da sie noch vor ihrer erstmaligen Anwendung (1.1.1974) durch Art. 2 Nr. 12 Buchst. c VStRG v. 17.4.1974 den heute geltenden Wortlaut erhielt. Die Neufassung des Abs. 4 durch das VStRG berücksichtigt, dass es – nach der Änderung des Abs. 3 – der Sonderregelung des Abs. 4 nur noch gegenüber der bestehengebliebenen Schutzvorschrift des Abs. 2 bedarf. Im Übrigen bereinigt die Neufassung Ungereimtheiten, die sich aus der Regelung des § 69 Abs. 4 Satz 2 i.d.F. des Zweiten StÄndG 1971 a.a.O. ergeben hatten.
Rz. 213
Die Regelung des Abs. 4 beruht auf der Erwägung, dass der Antrag eines Steuerpflichtigen auf Ansatz des Teilwertes (§ 55 Abs. 5 Satz 1 EStG) regelmäßig die Vermutung rechtfertigt, der Wert des Grund und Bodens liege deshalb erheblich über dem Verkehrswert für land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen, weil der Boden bereits zum 1.1.1970 als Bauland (Industrieland) anzusehen war. Beantragte ein Steuerpflichtiger, in Anwendung des § 55 Abs. 5 Satz 1 EStG für eine zum 1.1.1970 noch landwirtschaftlich genutzte Fläche statt des zweifachen Ausgangsbetrags einen infolge Baulandwertsteigerungen höheren Teilwert auf den 1.1.1970 anzusetzen, erscheint es geboten, diese Fläche von der Schutzregelung des § 69 Abs. 2 BewG auszunehmen. Die dadurch eintretende steuerliche Mehrbelastung muss ein Steuerpflichtiger, der durch den Ansatz des höheren Teilwerts (§ 55 Abs. 5 Satz 1 EStG) einen einkommensteuerlichen Vorteil in Anspruch nimmt, nach Auffassung des Gesetzgebers in Kauf nehmen.
Rz. 214
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass diese Regelung Land- und Forstwirte in Stadtrandlagen häufig zum Verkauf derartiger land- und forstwirtschaftlich genutzter Flächen zwingen wird (Baulandsteuereffekt). Gleichwohl kann die Vorschrift im Hinblick auf die angestrebte Erhöhung der Mobilität von Grund und Boden nicht als verfassungswidrig angesehen werden. Stellt der Landwirt seinen Antrag auf Teilwertfeststellung gem. § 55 Abs. 5 EStG zeitlich erst nach dem Feststellungszeitpunkt, wird infolge dieses Antrags die Anwendung von § 69 Abs. 2 BewG und damit die Bewertung der Fläche als land- und forstwirtschaftliches Vermögen nicht ausgeschlossen.
II. Die Grundsätze des § 55 Abs. 1 und 5 EStG
Rz. 215
§ 69 Abs. 4 BewG steht im Zusammenhang mit der Neuregelung der Bodengewinnbesteuerung durch das Zweite StÄndG 1971 aus Anlass des Beschlusses des BVerfG v. 11.5.1970. Aufgrund dieser Neuregelung wird auch bei Land- und Forstwirten, Kleingewerbetreibenden und selbständig Tätigen ab 1.1.1970 der Bodengewinn versteuert. Im Zusammenhang mit § 69 BewG sind nur die Sondervorschriften des § 55 EStG von Bedeutung. Dort ist in Absatz 1 bestimmt, dass bei Steuerpflichtigen, deren Gewinn für das Wirtschaftsjahr, in das der 30.6.1970 fällt, nicht nach § 5 EStG zu ermitteln ist – das ist der oben angeführte Personenkreis –, bei Grund und Boden, der mit Ablauf des 30.6.1970 zu ihrem Anlagevermögen gehört hat, als Anschaffungs- oder Herstellungskosten das Zweifache des Ausgangswerts gilt. Der Ausgangswert ist nach § 55 Abs. 2 und 3 EStG zu ermitteln. Die Ausgangsbeträge waren so hoch bemessen, dass die sich ergebenden Werte in den meisten Fällen über den Teilwerten am 1.1.1970 lagen. Insbesondere in den Fällen, in denen schon vor dem 1.1.1970 Baulandwertsteigerungen beim Grund und Boden eingetreten waren, sei es aber nicht auszus...