Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 11
Nach § 177 Abs. 1 BewG ist den Bewertungen nach den §§ 179 und 182 bis 196 der gemeine Wert (§ 9 BewG) zu Grunde zu legen. Das angestrebte Bewertungsziel des gemeinen Werts nach § 9 BewG entspricht inhaltlich dem Verkehrswert (Marktwert) nach § 194 BauGB.
Rz. 12
Die Werte der einzelnen Vermögensgegenstände wurden vor dem Beschluss des BVerfG vom 7.11.2006 bei der Erbschaft-/Schenkungsteuer nicht einheitlich, sondern auf unterschiedliche Art und Weise ermittelt. Diese Ungleichheiten waren verfassungsrechtlich nicht akzeptabel. Denn der über § 12 Abs. 1 ErbStG anwendbare § 9 Abs. 1 BewG nennt als Regelfall den gemeinen Wert, also den Verkehrswert. Neben dem von § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG angeordneten Maßstab des Preises, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei der Veräußerung zu erzielen wäre, war der gemeine Wert aber auch in modifizierter und typisierter Form auch als Teilwert (§ 10 BewG), Kurswert (§ 11 Abs. 1 BewG), Rücknahmepreis (§ 11 Abs. 4 BewG), Nennwert (§ 12 Abs. 1 BewG), Rückkaufswert (§ 12 Abs. 4 BewG), Jahreswert (§§ 13 ff. BewG) oder Anteilswert (§ 11 Abs. 2 BewG) zu finden. Bei der Bewertung inländischen Grundbesitzes kam in wichtigen Teilbereichen nach § 138 Abs. 3 BewG ein Ertragswertverfahren zur Ermittlung des Grundbesitzwerts zur Anwendung; der Wert des Betriebsteils von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen wurde nach seinem Ertragswert (§ 142 BewG) bemessen. Darüber hinaus bediente sich das Erbschaftsteuerrecht bei der Bewertung von Betriebsvermögen des Steuerbilanzwerts.
Rz. 13
Das BVerfG legte mit dem Beschluss vom 7.11.2006 dar, dass die erbschaftsteuerliche Ermittlung der Bemessungsgrundlage beim Grundvermögen schon auf der Bewertungsebene nicht den Anforderungen des Gleichheitssatzes genügte. Die daraus resultierenden Besteuerungsergebnisse waren nicht mit den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
Rz. 14
Damit muss der Gesetzgeber im Ergebnis als Zielgröße von Bewertungsregelungen die Abbildung des gemeinen Werts anstreben. Dabei kann bei gesetzlichen Typisierungen und Pauschalierungen eine Streubreite der Bewertungsergebnisse nicht ausgeschlossen werden. Dies schließt eine gleichmäßige Besteuerung dennoch nicht aus, sofern sich die Abweichungen in einem hinnehmbaren Toleranzbereich bewegen.
Rz. 15
Der BFH gibt in seinem Urteil vom 24.8.2022 grundsätzliche Hinweise zum gemeinen Wert. Der BFH hebt hervor, dass sich gemeine Wert durch den Preis bestimmt, der nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts im normalen Geschäftsbetrieb bei einer Veräußerung zu erzielen wäre (§ 9 Abs. 2 Satz 1 BewG). Dabei verankere § 177 BewG als ein Programmsatz das angestrebte Bewertungsziel auf der gesetzlichen Ebene und setze verfassungsrechtliche Vorgaben um. Denn die Bewertung des anfallenden Vermögens bei der Ermittlung der erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage müsse wegen der dem Erbschaftsteuerrecht zugrunde liegenden Belastungsentscheidung des Gesetzgebers, den durch Erbfall oder Schenkung anfallenden Vermögenszuwachs zu besteuern, einheitlich am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel ausgerichtet sein. Die Bewertungsmethoden müssten gewährleisten, dass alle Vermögensgegenstände in einem Annäherungswert an den gemeinen Wert erfasst werden. Soweit der gemeine Wert des Grundvermögens zu ermitteln ist, geschehe dies grundsätzlich anhand der typisierenden Bewertungsregeln in §§ 179 und 182 bis 196 BewG. Bedeutsam ist dabei die Aussage des BFH, dass diese Bewertungssystematik den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Dennoch sei der Gesetzgeber in der Wahl der Methoden, derer er sich zur Bestimmung des gemeinen Werts von Vermögensgegenständen bedient, grundsätzlich frei. Insbesondere könne er die Wertermittlungsregelungen unter Berücksichtigung der Erfordernisse eines praktikablen Steuererhebungsverfahrens sowie der gesetzessystematisch notwendigen Typisierungen und Pauschalierungen ausgestalten, solange der gemeine Wert annähernd erreicht wird.