Rz. 601
Verändert sich das Vermögen einer Gesellschaft, wird stets auch der Wert der Gesellschaftsanteile beeinflusst: Die Belastung des Gesellschaftsvermögens geht einher mit einer Verminderung der Anteilswerte. Bei Vermehrung ihres Vermögens ist sie selbst, konsequent sind auch ihre Gesellschafter anteilig bereichert. Persönlich erbschaft-/schenkungsteuerpflichtig können allerdings beide sein (s. § 2 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a, d ErbStG). In einschlägigen Fällen ist daher zu klären, wer als Erwerber bzw. Schenker in Betracht kommt:
- alternativ nur die Gesellschaft oder nur die Gesellschafter
- oder kumulativ die Gesellschaft und ihre Gesellschafter.
Rz. 602
Kapitalgesellschaften zählen schon immer zum Kreis potenziell steuerpflichtiger Erwerber [.] Konsequent behandelte der RFH unentgeltliche Vermögensübertragungen eines Gesellschafters wie Zuwendungen von Nichtgesellschaftern als Schenkungen an die Gesellschaft. Die Förderung der Gesellschaftszwecke war unschädlich. Lediglich für Zuwendungen eines Alleingesellschafters und sanierungsbedingte Gesellschafterleistungen verneinte man die Freigebigkeit.
Rz. 603
Kapitalgesellschaften können auch Schenker sein. Dies war, selbst bei verwandtschaftlichen Beziehungen der Gesellschafter zu den Zuwendungsempfängern, offenbar völlig unproblematisch – bis der RFH 1943 entschied, die gegenleistungslose Übertragung eigener Aktien von einer Tochter-AG auf ihre alleinige Muttergesellschaft sei "regelmäßig keine freigebige Zuwendung, sondern verdeckte Gewinnausschüttung"; infolge gegenläufiger Wertänderungen auf der Beteiligungsebene sollten Vermögensübertragungen zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern die Vermögen der Gesellschafter weder vermindern noch vermehren. Einschlägige Vorteilsgewährungen wurden fortan schenkungsteuerlich überhaupt nicht mehr aufgegriffen. – Dass der RFH ausdrücklich nur kongruente, d.h. den jeweiligen Anteilsverhältnissen entsprechend quotale, Zuwendungen im Auge hatte und die Freigebigkeit keinesfalls generell ausschließen wollte, verdrängte man weitgehend. Irrelevant blieb daher auch seine Ablehnung, die Vermögen von Mutter- und Tochtergesellschaften als ein einheitliches Ganzes zu behandeln.
Rz. 604
Gut 50 Jahre später begann die Diskussion erneut. Nachdem der BFH die transparente Besteuerung bei Personengesellschaften wieder akzeptierte, positionierte sich die Finanzverwaltung in 1997 nur zur schenkungsteuerlichen Behandlung von Leistungen von Gesellschaftern und Dritten an Kapitalgesellschaften. Fortgeführt in R/H 18 ErbStR/H 1998 und ErbStR/H 2003 prägte sie damit die Praxis:
- Zuwendungen von Kapitalgesellschaften an Gesellschafter gelangten nicht vor die Gerichte; man verneinte die Steuerbarkeit von vornherein.
- Zuwendungen von Gesellschaftern an Kapitalgesellschaften führten vereinzelt zur Inanspruchnahme der Mitgesellschafter wegen angeblicher Werterhöhung ihrer Beteiligung. Doch der BFH sah darin keinen tauglichen Erwerbsgegenstand und plädierte dafür, beteiligte Kapitalgesellschaften, dem Zivilrecht folgend, selbst als Schenker und/oder Erwerber zu behandeln. Dies war den Schenkungsteuerstellen allerdings untersagt, da sie die Freigebigkeit gegenüber der Gesellschaft ablehnen mussten.
- Nur bei Vorteilsgewährungen an/von Nichtgesellschafter/n war es denkbar, dass Finanzverwaltung und BFH Kapitalgesellschaften übereinstimmend als Schenker bzw. Erwerber personifizieren.
- Zur Freigebigkeit von Zuwendungen zwischen Kapitalgesellschaften gelangte der BFH leider nicht; aus Verjährungsgründen blieb offen, ob ein solcher Sachverhalt, ertragsteuerlich verdeckte Gewinnausschüttung, schenkungsteuerlich als Bereicherungsvorgang unter den Gesellschaftern zu erfassen war.
Rz. 605
In 2007 verneinte schließlich auch der II. BFH-Senat die Unentgeltlichkeit von Gesellschafterzuwendungen gegenüber der Gesellschaft und deutete an bei Vorteilsgewährungen an Nichtgesellschafter sei Schenker stets die Gesellschaft. Daraufhin dachte die Finanzverwaltung endlich ernsthaft darüber nach, ob sie für Vermögensübertragungen zwischen Gesellschaftern und ihren Kapitalgesellschaften mittels verdeckter Einlagen und verdeckter Gewinnausschüttungen einen schenkung- (und erbschaft-)steuerlichen Freiraum öffnen durfte. Sie entschied sich allerdings erst für ein neues Konzept in Gestalt komplett geänderter H 18 ErbStH 2003 n.F. unter Aufhebung der R 18 ErbStR 2003, nachdem der BFH erneut eine Steuerpflicht der Gesellschafter abgelehnt hatte. Den Schenkungsteuerstellen war es nun nicht mehr untersagt, Kapitalgesellschaften auch gegenüber ihren Gesellschaftern als Erwerber und/oder Schenker zu behandeln.
Rz. 606
Diese für alle nach dem 20.10.2010 verwirklichten Erwerbsfälle gültige Weisungslage wurde zwar mit Wirkung ab 3.11.2011 durch die ErbStH 2011 ausdrücklich beseitigt; ihre n...