Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 25.2
Obwohl für Zwecke der Erbschaft-/Schenkungsteuer für Bewertungsstichtage nach dem 31.12.2008 Grundstücke nach dem Sechsten Abschnitt des Zweiten Teils des Bewertungsgesetzes mit dem gemeinen Wert zu bewerten und anzusetzen sind, hatte sich der Gesetzgeber dazu entschieden, die Ersatzbemessungsgrundlage für Zwecke der Grunderwerbsteuer weiterhin nach dem Vierten Abschnitt des Zweiten Teils des Bewertungsgesetzes zu ermitteln. Diese Entscheidung war m.E. zumindest überraschend, weil aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts v. 7.11.2006 die bisherige Bedarfsbewertung für Zwecke der Erbschaft-/Schenkungsteuer dem Gleichheitssatz nicht genügte. Deshalb lag es – auch ohne eine ausdrückliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – nahe, dass die Bedarfsbewertung mit ihren willkürlichen Ergebnissen auch für Zwecke der Grunderwerbsteuer nicht den Anforderungen des Gleichheitssatzes des Grundgesetzes entspricht.
Rz. 25.3
Mit dem Beschluss vom 23.6.2015 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass § 8 Abs. 2 GrEStG mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Vielmehr müsse, wenn der Gesetzgeber zur Bemessung der Steuer neben einem Regelbemessungsmaßstab einen Ersatzmaßstab vorsieht, dieser Ergebnisse erzielen, die denen der Regelbemessungsgrundlage weitgehend angenähert sind. Das war bei der Ersatzbemessungsgrundlage nach dem Vierten Abschnitt des Zweiten Teils des Bewertungsgesetzes nicht der Fall, so dass sie dem Grundsatz der Lastengleichheit nicht genügte. Das Bundesverfassungsgericht fordert für eine gleichmäßige Belastung der Steuerpflichtigen, dass für die von einer Steuer erfassten Wirtschaftsgüter eine Bemessungsgrundlage gefunden wird, die deren Werte in ihrer Relation realitätsgerecht abbildet.
Rz. 25.4
Insoweit war der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vorhersehbar. Dementsprechend weitreichend war die rückwirkende Anordnung des Beschlusses vom 23.6.2015, dass das bisherige Recht lediglich bis zum 31.12.2008 weiter anwendbar ist. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, spätestens bis zum 30.6.2016 rückwirkend zum 1.1.2009 eine Neuregelung zu treffen.
Rz. 25.5
Nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts führt die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch § 8 Abs. 2 GrEStG nicht zur Nichtigkeit dieser Norm, sondern zur Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz. Die bloße Unvereinbarkeitserklärung des Bundesverfassungsgerichts einer verfassungswidrigen Norm ist regelmäßig geboten, wenn der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen. Bei Verletzungen des Gleichheitssatzes ist das grundsätzlich der Fall. Aus der Feststellung der Unvereinbarkeit einer Norm folgt in der Regel die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Rechtslage rückwirkend innerhalb der gesetzten Frist verfassungsgemäß umzugestalten. Hierzu kann das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Frist setzen. Dementsprechend dürfen Gerichte und Verwaltungsbehörden die Norm im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden.
Rz. 25.6
Wiederholt hat das Bundesverfassungsgericht im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für Zeiträume einer weitgehend schon abgeschlossenen Veranlagung die weitere Anwendbarkeit verfassungswidriger Normen für gerechtfertigt erklärt und dem Gesetzgeber eine in der Zukunft liegende Frist eingeräumt, um verfassungsgemäße Regelungen zu erlassen. Davon hat das Bundesverfassungsgericht bei dieser Entscheidung keinen Gebrauch gemacht. Es erschien lediglich die Fortgeltung des § 8 Abs. 2 GrEStG vom Beginn der Unvereinbarkeitsfeststellung zum 1.1.1997 bis zum 31.12.2008 geboten, ohne dass der Gesetzgeber verpflichtet wäre, auch für diesen Zeitraum rückwirkend eine verfassungsgemäße Ersatzbemessungsgrundlage zu schaffen. Ursächlich hierfür war die Überlegung, dass eine auch diesen Zeitraum erfassende Unvereinbarkeitswirkung weitgehend bedeutungslos bleiben dürfte, da die meisten Grunderwerbsteuerfestsetzungen aus diesem Zeitraum bestands- oder rechtskräftig abgeschlossen sein werden. Selbst die Steuerpflichtigen noch offener Fälle werden durch die Anordnung der Weitergeltung der beanstandeten Ersatzbemessungsgrundlage im Ergebnis aller Voraussicht nach nicht belastet, weil die Geltung der Unvereinbarkeitserklärung auch für diesen Zeitraum verbunden mit einer Verpflichtung des Gesetzgebers zur rückwirkenden Neuregelung angesichts der festgestellten Mängel höchstwahrscheinlich zu einer Höherbewertung des Grundbesitzes führen würde, vor deren nachteiligen Folgen die Steuerpflichtigen durch den Vertrauensschutz gewährenden § 176 AO geschützt wären.
Rz. 25.7
Zudem hätte eine hinter den 1.1.2009 zurückgreifende Unvereinbarkeit des § 8 Abs. 2 GrEStG als Wertungswiderspruch zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7.11.2006 verstanden werden können. Nach dieser Entscheidung is...