Rz. 101
Ab welchem Zeitpunkt dem Bewohner eines Wohnhauses bzw. einer Wohnung deren Benutzung zugemutet werden kann, ergibt sich nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung aus den Umständen des Einzelfalles. Entscheidend ist, ob Personen mit durchschnittlichen Ansprüchen an ein gewöhnliches privates Wohnen eine Benutzung der Räumlichkeiten zugemutet werden kann.
Rz. 102
Unerheblich sind damit persönliche Notwendigkeiten für den Bezug der Räumlichkeiten (z.B. Kündigung der bisherigen Wohnung, ausreichende Räumlichkeiten für mehrere Personen). Auch ist nicht maßgeblich, welcher Zeitraum zwischen Bezugsfertigkeit und tatsächlichem Bezug liegt.
Rz. 103
Für die Annahmen der Zumutbarkeit i.S.d. § 246 Abs. 1 Satz 3 BewG der Benutzung eines Wohngebäudes ist unerheblich, ob das äußere Erscheinungsbild des Bauwerks ggf. den Eindruck erzeugt, dass es sich um ein zu Wohnzwecken uneingeschränkt benutzbares Grundstück handelt. Entscheidend ist ausschließlich, ob dort zur dauernden bestimmungsgemäßen Nutzung geeignete Räumlichkeiten bereits bzw. noch vorhanden sind.
Rz. 104
Die Frage der Benutzbarkeit von Wohngebäuden steht in engem Zusammenhang mit dem Begriff der Wohnung i.S.d. § 5 Abs. 2 GrStG. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist unter einer Wohnung eine Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, dass die Führung eines selbständigen Haushalts möglich ist. Von einer Wohnung i.S.d. BewG kann dann nicht ausgegangen werden, wenn ausreichender, zur Führung eines selbständigen Haushalts objektiv geeigneter, d.h. benutzbarer Wohnraum noch nicht oder nicht mehr vorhanden ist. Für die Frage der Abgrenzung von unbebauten gegenüber bebauten Grundstücken können die Grundsätze zu den Anforderungen an eine Wohnung bzw. einzelner Wohnräume i.S.d. § 5 Abs. 2 GrStG ergänzend herangezogen werden.
Rz. 105
Ein Haus bzw. eine Wohnung sind dann als bezugsfertig anzusehen, wenn dort die wesentlichen Bauarbeiten ausgeführt sind und lediglich noch unerhebliche Restarbeiten verbleiben. Im Einzelfall kann für die Frage der Bezugsfertigkeit maßgeblich sein, dass die für eine bestimmungsgemäße Nutzung als Wohnraum erforderliche Ausstattung (z.B. Heizung) schadhaft ist bzw. in wesentlichen Teilen – nicht existiert. Das Benutzen derartiger Räumlichkeiten ist objektiv nicht zumutbar. Funktional muss die bestimmungsgemäße Nutzung der Räumlichkeiten zu Wohnzwecken ohne wesentliche gegenständliche bzw. zeitliche Beschränkungen möglich sein. Dies erfordert im Einzelnen, dass alle wesentlichen Türen und Fenster eingebaut sind, funktionierende Anschlüsse für Strom- und Wasserversorgung, Heizung sowie die sanitären Einrichtungen bestehen und eine Möglichkeit des Kochens bzw. Essens vorhanden ist. Eine Küche muss insoweit nicht notwendigerweise vollständig eingerichtet sein, jedoch ist auch das bloße Vorhandensein der entsprechenden Anschlüsse nicht ausreichend. Eine Wohnung, in der nur noch Spüle und Herd aufzustellen bzw. anzuschließen gilt nach der Verkehrsanschauung als bezugsfertig. Ein räumlich abgrenzbarer Wasserschaden hindert nicht die Annahme der Bezugsfertigkeit. An der Bezugsfertigkeit einer Wohnung fehlt es dagegen mE, wenn zwar alle Vorarbeiten für die ausstehende Installation abgeschlossen sind, jedoch Waschbeckens und die WC-Installationen noch fehlen. Die vorgesehenen Treppen müssen in funktionsfähigem, gut begehbarem und verkehrssicherem Zustand nebst vorhandenem Treppengeländer sein (s. § 72 BewG Rz. 24).
Rz. 106
Für die Annahme der Bezugsfertigkeit müssen zusätzlich die wesentlichen Maler- bzw. Tapeziererarbeiten ausgeführt sein. Ob im Einzelfall ein Zimmer nur getüncht oder tapeziert wird, steht nach allgemeiner Meinung weitgehend im Belieben des Hausherrn bzw. des Mieters. In der Praxis werden als bezugsfertig anzusehender Wohnräumlichkeiten durch deren Nutzer noch längere Zeit, ggf. ein oder zwei Jahre, in getünchtem Zustand zum Austrocknen gelassen, bevor deren endgültige Tapezierung erfolgt. In solchen Fällen ist es nicht gerechtfertigt, die Bezugsfertigkeit der Wohnung erst zum Zeitpunkt des finalen Tapezieren anzunehmen. Dagegen können bei einem bloßen Rauhputz an den Wänden der Wohnräume, der kein Tünchen darstellt, die Wohnräumlichkeiten noch nicht als bezugsfertig angesehen werden. Auch eine spätere Erneuerung des gesamten Anstrichs – ebenso wie des gesamten Bodenbelags – führt zwar zu einer erheblichen Belästigung für den Bewohner, regelmäßig aber nicht zu einer Unterbrechung der Wohnnutzung als solcher.
Rz. 107
Wohnräumlichkeiten sind auch für den Fall als nicht bezugsfertig anzusehen, wenn der Fußboden fehlt bzw. noch nicht so weit vorbereitet ist, dass nur noch ein individuell zugeschnittener Teppichboden oder etwas Vergleichbares auszulegen ist.. Zu letzterem gehört auch die Anpassung des Bodenbe...